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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Versuche, ihn zum Bruch seines Keuschheitsgelübdes zu bewegen. Nach und nach konnte man jedoch den Eindruck haben, auch sie sei zufrieden damit, einfach nur neben ihm im Bett zu liegen, zu streicheln und gestreichelt zu werden. Manchmal war sie ganz verzweifelt und flehte ihn an, sie niemals zu verlassen. Er verstand nicht, warum sie so war. Sie sprachen nicht viel, er hatte aber das Gefühl, dass ihre Enthaltsamkeit sie nur noch enger zusammenschweißte. Ihre Treffen hatten ein abruptes Ende genommen, als er Thea nähergekommen war. Nicht so sehr, weil er Ragnhild nicht mehr treffen wollte, sondern weil Thea den Vorschlag gemacht hatte, die Wohnungsschlüssel zu tauschen. Sie meinte, das sei eine Frage des Vertrauens, und er hatte nicht gewusst, was er dagegen hätte vorbringen können.
    Jon drehte sich im Krankenhausbett um und schloss die Augen. Er wollte jetzt träumen. Träumen und vergessen. Wenn das denn möglich war. Der Schlaf war nicht mehr weit entfernt, als er einen Luftzug im Raum spürte. Instinktiv öffnete er die Augen und drehtesich um. Im blassgrünen Lichtschein der EXIT-Lampe sah er die Tür ins Schloss fallen. Er starrte auf den Schatten, während er den Atem anhielt und lauschte.
     
    *
     
    Martine stand am Fenster ihrer Wohnung in der Sorgenfrigata, die nach dem Stromausfall ebenfalls im Dunkeln lag. Trotzdem bemerkte sie den Wagen, der vor ihrem Haus stand. Er sah aus wie Rikards.
    Rikard hatte nicht versucht, sie zu küssen, als sie ausgestiegen war. Er hatte sie nur mit seinem Hundeblick angesehen und behauptet, dass er der neue Verwaltungschef werden würde. Er hätte Signale erhalten. Positive Signale. Er würde die Stelle bekommen. Sein Blick war seltsam starr geworden, als er sie gefragt hatte, ob nicht auch sie dieser Meinung sei.
    Sie hatte geantwortet, er würde bestimmt einen guten Verwaltungschef abgeben, und hatte ihre Hand auf den Türgriff gelegt, während sie auf die Berührung wartete, die aber nicht gekommen war. Und dann war sie auch schon draußen gewesen.
    Martine seufzte, nahm das Handy und wählte die Nummer, die sie von Harry Hole bekommen hatte.
    »Was gibt’s?« Seine Stimme klang am Telefon ganz anders. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er zu Hause war.
    »Hier ist Martine«, sagte sie.
    »Hallo.« Es war nicht zu hören, ob er sich freute.
    »Sie haben mich gebeten, mir noch einmal Gedanken zu machen«, sagte sie. »Ob mich jemand nach den Dienstplänen gefragt hat. Über Jons Schicht.«
    »Ja?«
    »Ich habe nachgedacht.«
    »Und?«
    »Es hat niemand gefragt.«
    Lange Pause.
    »Sie haben angerufen, um mir das zu sagen?« Seine Stimme klang warm und rau. Als hätte er geschlafen.
    »Ja. Sollte ich das nicht?«
    »Doch, doch, natürlich. Danke für Ihre Hilfe.«
    »Keine Ursache.«
    Sie schloss die Augen und wartete wieder auf seine Stimme. »Sind Sie ... gut nach Hause gekommen?«
    »Hm. Wir haben hier einen Stromausfall.«
    »Hier auch«, sagte er. »Der kommt sicher gleich wieder.« »Was, wenn nicht?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Würde die Stadt dann im Chaos versinken?«
    »Denken Sie oft an so etwas?«
    »Es kommt vor. Ich glaube, die Infrastruktur unserer Zivilisation ist viel zerbrechlicher, als wir glauben. Und Sie?«
    Er war lange still, ehe er antwortete. »Tja. Ich glaube, dass die Systeme, auf die wir vertrauen, jederzeit ausfallen können und dass wir dann in einer Nacht enden könnten, in der es keine Gesetze oder Regeln mehr gibt, die uns beschützen. In der die Kälte und die Raubtiere regieren und jeder von uns seine eigene Haut retten muss.«
    »Das ... «, sagte sie, als er schwieg, »war aber nicht gerade dazu angetan, kleine Mädchen in den Schlaf zu wiegen. Ich glaube, Sie sind ein echter Schwarzmaler, Harry. «
    »Natürlich, schließlich bin ich Polizist. Gute Nacht.«
    Er legte auf, ehe sie antworten konnte.
    Harry kroch unter seine Decke und starrte an die Wand.
    Die Temperatur in der Wohnung war drastisch gefallen.
    Er dachte an den Himmel draußen. An Åndalsnes. Großvater. Und an Mutter. Die Beerdigung. Das Abendgebet, das sie immer mit ihrer weichen Stimme geflüstert hatte. »Ein feste Burg ist unser ist unser Gott«. Doch in dem schwerelosen Moment vorm Einschafen dachte er an Martine und an ihre Stimme, die noch immer in seinem Kopf nachhallte.
    Der Fernseher im Wohnzimmer erwachte mit einem Stöhnen und begann zu rauschen. Die Lampe im Flur ging an und warf ihr Licht durch die offene Schlafzimmertür auf Harrys Gesicht.

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