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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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irgendwo ein Einschussloch geben musste. Sie hatte gesucht und es in der Schranktür gefunden.
    Der Mann hatte versucht, Jon zu erschießen. Ihn zu töten. Der Gedanke daran erregte sie seltsamerweise. Er machte ihr keine Angst. Manchmal dachte sie, dass sie nie wieder Angst verspüren würde, nicht so, nicht davor, nicht vor dem Tod.
    Die Polizei war in der Wohnung gewesen, aber sie hatten nicht lange gebraucht. Abgesehen von den Projektilen hatte es keine Spuren gegeben.
    Im Krankenhaus hatte sie Jons Atem gelauscht, während er sie ansah. Wie hilflos er in dem großen Bett ausgesehen hatte. Beinahe so, als könnte sie einfach ein Kissen nehmen, es ihm aufs Gesicht legen und ihn damit ersticken. Und es hatte ihr gefallen, ihn so schwach zu sehen. Vielleicht hatte der Schulmeister im »Victoria« ja doch recht damit, dass es Frauen gab, die ein so starkes Bedürfnis hatten, andere zu bemitleiden, dass sie ihre gesunden, starken Männer hassten und sich im Stillen wünschten, dass diese zu Krüppeln wurden und damit abhängig von ihrer Güte.
    Aber jetzt war sie allein in seiner Wohnung, in der das Telefon klingelte. Sie sah auf die Uhr. Nacht. Jetzt rief doch niemand an. Niemand mit rechtschaffenen Absichten. Thea hatte keine Angst vor dem Tod. Aber hiervor hatte sie Angst. War sie das? Diese Frau, von der Jon glaubte, dass sie nichts von ihr wisse?
    Sie machte zwei Schritte auf das Telefon zu. Blieb stehen. Das vierte Klingeln. Nach dem fünften würde es aufhören. Sie zögerte. Es klingelte noch einmal. Da trat sie rasch vor und nahm den Hörer ab.
    »Ja? «
    Am anderen Ende war es einen Moment lang still, dann begann ein Mann Englisch zu sprechen:
    » Sorry for calling so late. Mein Name ist Edom, ist Jon da?« »Nein«, sagte sie erleichtert. »Er ist im Krankenhaus.«
    »Oh ja, ich habe gehört, was heute geschehen ist. Ich bin ein alter Freund und würde ihn gerne besuchen. In welchem Krankenhaus liegt er? «
    »Ullevål. «
    »Ullevål? «
    »Ja, ich weiß nicht, wie die Station auf Englisch heißt, hier sagt man Neurochirurgie. Aber vor der Tür sitzt ein Polizist. Er wird Sie bestimmt nicht hineinlassen. Verstehen Sie, was ich sage?«
    »Verstehen?«
    »Mein Englisch … ist nicht sehr gut «
    »Ich verstehe Sie ausgezeichnet. Danke.«
    Sie legte auf und starrte lange das Telefon an.
    Dann begann sie wieder zu suchen. Angeblich sollte es noch mehr Einschlusslöcher geben.
     
    *
     
    Er sagte zu dem Jungen an der Rezeption des Obdachlosenheims, er wolle einen kleinen Spaziergang machen, und gab ihm den Schlüssel.
    Der Junge warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, die Viertel vor zwölf zeigte, und bat ihn, den Schlüssel mitzunehmen. Dann erklärte er ihm, er werde gleich abschließen und selbst ins Bett gehen, der Zimmerschlüssel passe jedoch auch für die Haustür.
    Die Kälte sprang ihn an wie mit Klauen und Zähnen, kaum dass er draußen war. Er senkte den Kopf und ging mit raschen, entschlossenen Schritten los. Das Risiko war reichlich hoch. Definitiv. Aber er musste es tun.
     
    *
     
    Ola Henmo, der Betriebsleiter von Hafslund Energie, saß im Kontrollraum der Steuerungszentrale Montebello in Oslo und starrte auf einen der vierzig Monitore, die überall im Raum standen. Er wünschte sich jetzt nichts dringender als eine Zigarette. Tagsüber waren hier zwölf Personen, nachts aber nur drei. Für gewöhnlich saßen sie an ihren verschiedenen Arbeitsplätzen, doch an diesem Abend schien die Kälte sie am Tisch in der Mitte des Raumes zusammengetrieben zu haben.
    Geir und Ebbe stritten sich wie üblich über ihre Pferdewetten und die V75er-Reihe. Seit acht Jahren taten sie das, und es war ihnen nie eingefallen, doch einmal jeder für sich zu wetten.
    Ola machte sich mehr Sorgen über die Transformatorenstation im Kirkeveien, zwischen Ullevålsveien und Sognsveien.
    »Sechsunddreißig Prozent Überlast an T1. Neunundzwanzig an T2, T3 und T4«, sagte er.
    »Mein Gott, die heizen sich ja was zurecht da draußen«, sagteGeir. »Haben die Angst, sie könnten erfrieren? Es ist doch mitten in der Nacht, da kann man doch unter die Decke kriechen. Dritter Lauf Sweet Revenge? Sag mal, hast du sie nicht mehr alle?«
    »Deswegen drehen die Leute aber ihre Heizkörper nicht runter«, sagte Ebbe. »Nicht in diesem Land. Die scheißen hier Geld.«
    »Das wird nicht gut gehen«, sagte Ola.
    »Doch«, brummte Ebbe. »Dann pumpen wir einfach ein bisschen mehr Öl.«
    »Ich denke an T1 «, sagte Ola und zeigte auf den

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