Der erpresste Erpresser
sein.“
Brochmann zuckte die Achseln. „Habe ich
ihm alles gesagt.“
„Und?“
„Was und?“
„Hat er nichts erwidert?“
„Er sagt, er käme gut aus mit den
Leuten.“
„Hatten Sie den Eindruck, daß er
irgendwie unter Drogen stand? War er betrunken?“
„Keine Spur. Ganz normal, das heißt,
ein bißchen aufgeregt. Nervös! Immerhin mußte er mir das verklickern. Für
gewöhnlich bin ich gleich auf hundert, wenn er mir irgendeine Frechheit bietet.
Naja, bin wohl ungeeignet zum Ersatzvater.“ Glockners Blick prüfte, war
durchdringend, aber seiner Miene ließ sich nicht entnehmen, was er dachte.
Eine unbehagliche Stille entstand: der
richtige Moment für Tim.
„Da wäre noch was, Herr Brochmann“,
sagte der TKKG-Häuptling: „Markus hat ein Heft von mir. Mathe. Ist mein
Glanzfach, und er wollte was ab... was auswerten. Ich brauche aber das Heft
dringend, weil wir’s morgen abgeben müssen. Ist galaktiös wichtig, nämlich die
letzte Benotung vor den Ferien. Hat er was gesagt von dem Heft?“
„Nein.“
„Kann ich verstehen. Nehme ich ihm auch
gar nicht übel. In so einer Situation — wer denkt da an Mathe. Schließlich
geht’s um Markus’ Schicksal, nicht wahr? Penner-Karriere oder zurück ins
gutbürgerliche Elternhaus. Ich will damit sagen: Mein Heft liegt sicherlich
oben in seinem Zimmer. Darf ich’s mir holen?“
Hoffentlich, dachte Tim, habe ich ihn
zugelabert mit meinem Gesülze. Habe ich sein Mißtrauen eingelullt? Oder ahnt
er, daß ich was anderes vorhabe?
Brochmann zögerte.
Kommissar Glockner hatte sich
abgewandt, blickte uninteressiert in den Garten, schickte sich an zum Gehen.
Tim versuchte, wie ein Unschuldslamm
auszusehen, und zwang allen Sanftmut in seine Züge.
„Meinetwegen“, knurrte Brochmann. „Aber
mach’s kurz. Ich habe zu tun.“
Mit übertriebenem Eifer trat Tim sich
die Turnschuhe ab auf der Fußmatte.
Brochmann schloß hinter ihm die Tür —
sehr rasch, als befürchte er, auch die andern könnten hereinkommen.
Flur. Treppe. Tim kannte den Weg.
Brochmann kam mit, immer einen Schritt
hinter dem TKKG-Häuptling. Ohne ein Wort.
Stille im Haus. Tim erhaschte einen
Blick ins Kaminzimmer, wo Bier- und Schnapsflaschen auf dem Cocktailtisch
standen sowie Gläser.
Sicherlich hatte auch Corneli
geprostet.
Markus’ Zimmer: oben, gegenüber einem
kleinen Bad, das nur der Junge benutzte.
Brochmann blieb neben Tim, im Fußball
hätte man ‚Manndeckung’ gesagt.
Der ahnt sicherlich, daß ich die
Teppiche klauen will, dachte Tim amüsiert, und die Gemälde. Selbstverständlich
schiebe ich mir auch den hübschen Bauernschrank unters Hemd — wenn er einen
Moment mal nicht herschaut, der Brochmann.
Markus’ Schulmappe lag auf dem
Schreibpult. Es stand unter einem der Fenster, darüber war eine Hängelampe und
auf der Schreibunterlage ein großer Fleck ausgekippter Tinte.
Tim öffnete die Mappe und nahm alles
heraus.
Mit langem Gesicht wandte er sich an
Brochmann. „Ist nicht dabei.“
„Dann kann ich dir nicht helfen.“
„Wo hat er’s nur? Ich brauche es
wirklich. Sonst fliege ich fürchterlich auf den Flunsch. Ich müßte behaupten,
ich hätte es versehentlich verbrannt. Aber wir haben ja kein offenes Feuer — in
unserer Internatsschule. Jeder Pauker weiß sofort: Verliehen! Aha! Zum
Abschreiben. Dann setzen sie mir die Daumenschrauben an: Wem hast du’s gegeben?
Und ich will doch Markus nicht reinreißen.“
Brochmanns Miene war so verschlossen
wie ein Gefängnistor. „Das müßt ihr unter euch abmachen.“
„Ich hab’s“, rief Tim. „Markus schwört
auf den Nürnberger Trichter.“
„Was?“
„Auf eine Abart jedenfalls, auf eine
top-moderne Wissensanreicherung im Gehirn. Kennen Sie, ja? Man liest den Stoff
im Bett, kurz vor dem Einschlafen. Dann Licht aus, Augen zu und Pennematz. Und
im Gehirn bleibt das hängen, was man zuletzt aufgenommen hat, bevor das
Sandmännchen kommt. Zur symbolischen Unterstützung legt man das betreffende
Buch oder Heft unters Kopfkissen. Das ist immens wichtig, weil es das Unterbewußtsein
beeinflußt. Außerdem sind die meisten Kopfkissen sowieso zu weich. Sehen wir
mal nach, was?“
Tim trat zum Bett und drehte das
Kopfkissen um.
Nichts. Kein Tränengas-Revolver. Nur
ein schwacher Fleck Waffenöl auf dem Laken.
„Hm“, murmelte Tim, „der Re... der
Rechenheft-Schlummerplatz ist leer. Verdammter Mist! Da gibt es nur eine
Erklärung: Markus hat das Heft mitgenommen und paukt Mathe bei den
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