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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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über ihre Unterhosen.
    » Oh, god, give her a man! She is so hungry after the war! «, rief Inge mit aufgesetzter Fröhlichkeit.
    Schließlich beruhigte sich Anne. Niemand bemerkte, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Bis auf Inge und Ilse, die mit lautem Stöhnen die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
    » I faint, my friends, follow me! «, rief Ilse und sprang mit angezogenen Knien ins Wasser. Ilse folgte ihr. Die Soldaten hechteten ihnen nach.
    Martins Fußspuren trockneten schnell auf den Steinplatten.

23
    Der zweite Akt ist der heikelste für jede Tosca-Darstellerin, erst recht, wenn es keine Kulissen gibt, in denen man sich verstecken kann. Jede Geste wirkt wie ein lang gehaltener Spitzenton.
    Tosca breitet die Arme aus. Der Klarinettist gibt ihr mit einem Kopfnicken den Einsatz. Die Aufführung im ausgebombten Münchner Nationaltheater beginnt. Durch ihr weißes Seidenkleid zeichnet sich der abgemagerte Körper so deutlich ab, dass der Musiker den Blick abwendet. Sie faltet die Hände wie zum Beten vor der Brust und beginnt:
     
Nur der Schönheit weiht ich mein Leben. Einzig der Kunst und Liebe ergeben. Offen die Hände hatt’ ich für Arme und gab meine Spende, gläubig gleich andern Frommen bin ich gekommen. Niemals stand mein Altar von Blumen leer. Die Jungfrau schien mir gnädig und erfüllt all mein Begehr.
     
    Sie macht eine Pause, die der Musiker mit der Wiederholung des ersten Teils der Arie überbrückt. Tosca stöckelt auf ihren hohen Absätzen zu dem Zuschauer, in der Hand eine Spritze, die sie aus ihrer Handtasche gefischt hat. Beinahe stolpert sie über einen herausragenden Eisenträger und rudert mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
    Der Zuschauer auf seinem Klappstuhl ist ganz versunken in ihr Spiel. Von einer solchen Aufführung, nur ihm gewidmet, hat er sein Leben lang geträumt. Er ist voller Bewunderung für ihre unverkennbare Stimme, brüchig im Kopfregister, aber mit einer vollen und warmen Bruststimme. Er zwinkert ihr aufmunternd zu, als sie vor ihm steht, und deutet mit einer abwehrenden Geste auf den Musiker: Später, wenn sie alleine sind, soll sie den Lohn für ihren Auftritt bekommen. So viel sie will. Aber nicht während der Aufführung. Sie kommt näher, hat sie ihn denn nicht verstanden? Ihr flackernder, irrer Blick beunruhigt ihn. Hoffentlich wird sie den letzten Akt durchhalten. Es ist erregend, eine Künstlerin zu beobachten, die sich am Rand der eigenen Existenz bewegt. Was für ein Kunstereignis! Immer näher beugt sie sich zu ihm. Ein Schauder der Lust durchläuft ihn. Vielleicht, überlegt er, habe ich noch nie so unbedingt geliebt.
    Unvermittelt holt Tosca aus und rammt ihm die Spritze in die Brust. Der Zuschauer spürt den Einstich über seinem Brustbein. Den Schmerz registriert er erst mit einer Verzögerung. Mit geweiteten Augen starrt er Tosca an, bringt keinen Ton heraus, faltet die Hände, als sich ihre Lippen auf seine heften. Sein Atem riecht nach Schnaps. Sie wendet sich ab, verbeugt sich vor einem imaginären Publikum und stöckelt armrudernd wieder zum Rand des Bombenkraters. Ohnesich umzuwenden, haucht sie in die Leere vor sich: »Stirb!«, und noch einmal, und noch einmal: »Stirb!«
    Aber der Zuschauer stirbt nicht, sondern zieht sich die Spritze aus der Brust und presst das Einstecktuch aus seinem Frack auf die Einstichstelle. Den Arm mit der Spritze lässt er sinken, unfähig sich zu bewegen. Trotz allem hofft er, dass sie weiterspielen würde, im Rausch der Kunst. In den vergangenen Sekunden ist ihm klar geworden: er hat noch nie im Leben einen Menschen so begehrt.
    Und tatsächlich, Tosca singt die zweite Hälfte ihrer Arie mit brüchiger Stimme, so schnell, dass der Klarinettist nicht hinterherkommt. Sie schreit mehr, als dass sie singt:
     
Nun richtet eine Stunde mein armes Herz zu Grunde! Warum, mein Gott, suchst du mich heim so schwer? Meine Juwelen wollt ich der Kirche schenken, verirrte Seelen durch heil’gen Sang zurück zum Himmel lenken. Warum mein Gott und Herr, suchst du mich heim so schwer?
     
    Die letzten Worte flüstert Tosca, ohne Stimme. Sie sollte nach oben sehen, nur vom Himmel käme Rettung, hat man ihr als Kind gesagt. Die Hand, mit der sie ihn ermordet hat, drückt sie auf das Medaillon auf ihrer Brust. Sie versucht, sich an ein Gebet zu erinnern. »Heilige Maria, Mutter Gottes, gegrüßet sei meine Todesstunde.« Nein, das war es nicht.
    Fragend sieht sie zu dem Musiker, aber der wendet den Blick ab, wartet. Was

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