Der erste Sommer
Wohnung eingedrungen! Was für eine Unverschämtheit!«
»Ich war sicherlich nicht der Erste.«
Inge hatte die beiden beobachtet und fand es an der Zeit einzugreifen. »Kann ich dir helfen, darling ?«, rief sie.
»Nein«, antwortete Anne brüsk und zog Martin weiter fort Richtung Schwimmbecken. »Zieh dich aus«, befahl sie.
Ihr war mit eisiger Klarheit bewusst geworden, was sie vor allen anderen zu tun hätte: den Werwolf zu überführen. Ihn unschädlich zu machen. Sie würde den Beweis erbringen, dass er kein Amerikaner war. Sie würde ihn an der in der Achselhöhle eintätowierten Blutgruppe überführen und den Amerikanern ausliefern.
»Du willst immer alles gleich, oder?«
»Zieh dich aus, damit alle sehen können, was für einer du bist! Sofort!« Sie riss ihm den Hut aus der Hand und schleuderte ihn zu Boden.
Martin lachte. »Hey, entspann dich, es ist Sommer!«
Anne verstummte. Sein Lachen verunsicherte sie.
»Wie bist du hierher gekommen? Bist du mir gefolgt?«
Sie standen am Rand des Beckens. Ein paar Blätter trieben auf der Oberfläche, auf dem gekachelten Boden lag funkelnd eine Münze. Martin starrte ins Wasser.
»Antworte!«, fauchte sie. »Hat dich dein schlechtes Gewissen hergetrieben oder etwas anderes?«
»Im letzten Sommer lag ich noch jeden Abend am Lasker Pool. Da war noch alles an seinem Platz«, sagte Martin.
»Was redest du da? Ich verstehe kein Wort.« Anne wurde den Eindruck nicht los, er wäre nicht bei Verstand.
»Kennst du den Lasker Pool nicht? Du läufst zwischen der 106. und der 108. Straße Richtung Central Park, dann hörst du schon das Kindergeschrei.« Martin lächelte. »Im Wasser war ich nie. Aber zugesehen habe ich gerne, wenn sie um die Wette geschwommen sind. Hübsche Mädels, vor allem die schwarzen.«
»New York!«, zischte Anne. »Du weißt nicht einmal, wo das liegt. Du bist nichts als ein feiger Mörder!«
Martin sah ihr in die Augen. »Du bist hübsch, wenn du dich aufregst.«
In einer neuerlichen Aufwallung von Wut packte Anne ihn an den Schultern und stieß ihn Richtung Becken. Er stolperte, gleichzeitig verloren sie das Gleichgewicht und fielen ins Wasser. Noch im Fallen riss Anne an den Ärmeln seines Hemdes.
Als unentwirrbares Knäuel aus weißem und schwarzem Stoff gingen sie unter. Der Corporal, Inge und Ilse applaudierten. Die unübersehbare Spannung zwischen dem hübschen Paar hatte sich endlich entladen. Indes versuchte Martin unter Wasser, sich aus Annes Umklammerung zu befreien. Ohne Erfolg. Voller Todesangst drückte er mit demHandrücken ihr Gesicht weg. Sie biss hinein. Er spürte den Schmerz nicht, zog die Hand aber zurück. Hilflos mit den Beinen strampelnd, gelang es ihm für einen viel zu kurzen Moment, den Kopf über die Wasseroberfläche zu bekommen. Doch beim Versuch einzuatmen, schluckte er Wasser, was ihn noch panischer machte. Annes Gesicht war vor Entschlossenheit verzerrt. Auf seine Schultern gestützt drückte sie ihn wieder unter Wasser.
Keiner lag mehr auf der Wiese. Alle beobachteten vom Beckenrand gebannt den ungleichen Kampf. Martins Bemühungen, sich aus dem Schraubstock von Annes Armen zu befreien, wurden matter, bis er auf einmal Haare zu fassen bekam und mit letzter Kraft daran zog. Der Griff um seine Schultern lockerte sich. Strampelnd kam er wieder nach oben und schnappte nach Luft.
Endlich reagierte der Corporal, der bislang dem Spektakel unbeteiligt zugesehen hatte. Hier wurde kein Spiel ausgetragen. Die Deutsche war dabei, seinen Landsmann zu ertränken. Mit knappen Worten befahl er einem der Boxer, die beiden zu trennen. Der sprang ins Wasser, fasste Anne um den Oberkörper und bugsierte sie an den Rand. Ohne Widerstand ließ sie sich von den Umstehenden herausziehen.
Der Boxer kümmerte sich währenddessen um den totenbleichen Martin und zog ihn wie eine Puppe zu den kräftigen Armen seiner Kameraden. Sie hievten ihn mit einem Ruck aus dem Wasser und legten ihn in sicherem Abstand zu Anne auf den warmen Fliesen ab.
Anne, kaum wieder zu Atem gekommen, brüllte die Soldaten an: »Zieht ihn aus! Zieht ihn nackt aus, damit ihr seht, was das für einer ist!«
Der Corporal übersetzte. Die Soldaten lachten erleichtert und scharten sich um sie. Eine liebestolle Furie! Der arme Kerl. Gemeinsam hielten sie Anne an Armen und Beinen fest,als durchlitte sie einen epileptischen Anfall. Sie wehrte sich, hieb um sich und kratzte. Einige der Männer waren von der Situation sichtlich erregt und rieben sich verschämt
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