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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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verstehen können.«
    Anne schwieg hartnäckig. Dann spuckte sie aus, direkt vorihre Schuhe. Andras starrte sie beunruhigt an. Martin verbeugte sich mit einer Neigung des Oberkörpers.
    »Erst nachdem keiner mehr zappelte, hat Anne das Fenster geschlossen. Nicht ohne dem Kavalier auf dem Platz noch einmal zuzunicken.«
    »Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass ihr Leopold auch noch umbringt!«, empörte sich Anne.
    Martin überging ihren Einwurf. »Dumm von mir, in der Nacht auf dem Laster das neue Kennwort nicht zu kennen. Auf einmal wollte kein besoffener Werwolf mehr etwas mit mir zu tun haben. Da hatte einer eine witzige Idee: Sie haben mich in Häftlingskleidung gesteckt und fuhren dem Gefangenenzug aus Dachau hinterher. Den Wachleuten haben sie weisgemacht, mich im Wald gefunden zu haben. Ich bekam einen Schlag ins Kreuz und wurde zu den ausgemergelten Gespenstern geschubst. Sie fanden sich sehr komisch, die Werwölfe.«
    Andras zitterte. Jetzt war also er an der Reihe.
    »Dort habe ich kurz die Bekanntschaft von unserem Krüppel-Andras gemacht, der sich jetzt Andreas nennt und wohl bald eine eigene Porzellanfabrik eröffnen wird. Solche wie du werden immer durchkommen.« Er fixierte Andras, bis dieser verschämt wegsah. »Nachdem ich dich aus dem Weg geschafft hatte, ging es noch bis Mittenwald. Dort haben uns die Amerikaner befreit. Ich fühlte mich fast wieder wie zu Hause, fettes Essen aus Konservenbüchsen und genug Zigaretten. Nur dumm, dass mir niemand glaubte, dass ich einer von ihnen war.«
    Martin hielt inne. Unten war krachend die Haustür ins Schloss gefallen. Mehrere Personen mussten das Gebäude betreten haben. Beim Abtreten ihrer Stiefel machten sie Lärm wie eine ganze Kompanie. Die Absätze waren beschlagen, jeder Schritt hallte wie ein Gewehrschuss nach. Sie stiegendie Holztreppen hinauf. Im ersten Stock hielten sie an und klopften an eine Tür, dann wieder. Lauter, ungeduldiger. Andras starrte zitternd auf die Küchentür, als käme man, ihn abzuholen. Anne blieb ruhig. Wenn es die Polizei war: sie hatte sich nichts vorzuwerfen.
    »Weißt du, wie es ist, diese Geschichten mit anzuhören, über Wochen?«, fragte Martin. »Diese Geschichten aus den Lagern, die man euch Deutschen Tag und Nacht hätte erzählen müssen? Es ist, wie wenn man einen schlechten Film hundertmal ansieht.« Martin knöpfte sich die Hemdsärmel wieder auf. Wie ein verwundetes Tier leckte er die geröteten Stellen. Anne wandte den Blick ab.
    »Du bist ein Hochstapler, und ein Lügner. Warum hast du mich gerettet, wenn du dich nur über mich lustig machst?«, fragte Andras.
    Martin verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Langweilern wie dir gehört die Zukunft, Andreas. Du kannst unbesorgt sein.«
    Andras zog die beiden Krücken ganz nah zu sich heran.
    »Im Juli wollte ich nach München, um Katharina zu finden, und Heidemarie, um zu wissen, ob sie den Irrsinn überlebt hatten. Damals habt ihr beide euch an mich gehängt.«
    »Jetzt waren es auch noch wir!«, entrüstete sich Anne. »Was ist mit den Geschichten, die du uns bisher über deine Vergangenheit erzählt hast? Von wegen Werwolf!«
    Ihre Stimme war schrill geworden wie die eines kleinen Mädchens. Sie rückte ihren Stuhl näher an den von Andras. Zum ersten Mal sah sie Martins Gesicht, wie es wirklich war: die Nase zu groß, die Augenbrauen zu dicht beisammen, und eine kleine Narbe über der Wange stach unangenehm hervor. Der Zauber war verflogen.
    »Nichts davon war erlogen. Alles ist passiert, nur nicht mit mir als Hauptperson. Manche Geschichten habe ich mir ausgeliehenwie die Uniformen, die dir so gefallen. Für mich hat sich bis heute niemand interessiert. Habt ihr eine Ahnung, wie es war, in Amerika zu leben? Wie es uns ging, die ganzen Jahre durch, während denen hier Schlachterei gespielt wurde?«
    Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Die Unbekannten im Treppenhaus waren eine Etage höher gestiegen und klopften nacheinander an den drei Wohnungstüren im zweiten Stock. Anscheinend suchten sie jemand.
    »Und wie bist du von Mittenwald nach München gekommen?«, erkundigte sich Andras.
    »Einem einfältigen Sergeant, der vor lauter Mitleid mit den Deutschen fast zum Märtyrer geworden wäre, habe ich ein Märchen von einer kranken Schwester aufgetischt, die ich vor ihrem Tod sehen wollte. Er hat mich mitgenommen, Richtung München. Leider nur bis zu Paulas Hof.«
    Anne ärgerte es maßlos, wie dieser Martin über Bill sprach. »Ohne seine

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