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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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Fahrradschläuche wären Paula und ich verhungert. Aber so etwas Banales wie Überleben zählt für dich nicht. Bei dir muss es immer eine Nummer größer sein! Du hast nie gehungert wie wir!«
    Sie stand auf und drehte das Radio laut. Kammermusik gellte aus dem Lautsprecher. Als sie wieder neben ihm saß, wandte sich Andras ihr zu und murmelte:
    »Ich glaube ihm kein Wort. Er hat alles erfunden, er war mit mir in Allach. Átkozott hazudozó! «
    Mit drei dumpfen Schlägen klopfte es an die Wohnungstür. Alle drei erstarrten. Es war zu spät, die Geschichte zu ihrem Ende zu bringen. Schließlich räusperte sich Anne, als ob sie eine Rede halten müsste.
    »Die Stadt ist nichts für mich. Im nächsten Frühling stelle ich mich wieder aufs Feld, zusammen mit den anderen Frauen und mähe. Im Herbst klaube ich Kartoffelnund brenne heimlich Schnaps. So wie die letzten Jahre, es wird weitergehen wie vor dem Krieg. Und das Jahr darauf auch und das übernächste auch. Wenn ich so alt bin wie Paula, möchte ich sagen ›Das war’s‹ und die Augen für immer zumachen.«
    Andras wollte etwas hinzufügen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Anne nahm seine Hand, wollte sie eigentlich nur kurz drücken und hielt sie dann fest. »Den Andreas nehme ich mit. Der braucht jemanden. Und noch etwas: verreisen möchte ich einmal, nach Italien, nach Rom vielleicht. In die ewige Stadt.« Martin nickte und stand auf. Im Flur drehte er sich ein letztes Mal um. Anne und Andras saßen dicht nebeneinander. Sie gaben ein gutes Paar ab. Eine merkwürdige Gewissheit überkam ihn, dass die beiden bis zu ihrem Tod nie mehr über ihn und diesen ersten Sommer sprechen würden. Er schluckte und öffnete die Wohnungstür. Zwei Männer standen davor, im Begriff noch einmal zu klopfen. Martin prallte zurück, als der Größere ihm die Hand hinstreckte.
    »Grüß Gott, wir möchten Sie davon in Kenntnis setzen, dass die Wiederkunft des Heilands unmittelbar bevorsteht.«
    Martin ergriff die Hand und schüttelte sie. Die Männer waren beide um die vierzig und glichen sich bis auf die Größe auf gespenstische Weise. Beide wirkten ausgezehrt und hatten sich beim Rasieren den Hals zerschnitten. Die Kragen ihrer weißen Hemden waren gesprenkelt mit dunklen Blutflecken. Sie trugen schwarze Anzüge aus elegantem Tuch, aber nur dem Kleineren passte er. Martin sah auf ihre gelben Lederstiefel mit hölzernen Absätzen.
    »Die Zeit ist nah«, fuhr der Kleine fort, während sein Kamerad Luft holte, »und Gottes Schöpfung wird sich vollenden nach dem Weltuntergang, wie es geoffenbart wurde.«
    »Die Welt ist bereits untergegangen.« Martin lächelte.
    Die beiden Adventisten ließen sich von einem Ungläubigen nicht beirren – davon gab es in München zu viele – und fuhren fort:
    »Wenn er kommt, wird nicht nur die Welt vollendet; wer an ihn glaubt, wird in der Auferstehung neu geschaffen. Damit ist Gottes Absicht verwirklicht: Neue Menschen sollen auf einer neuen Erde leben.«
    Mit einer herrischen Geste gebot Martin ihnen Einhalt: »Kommen Sie herein! Anne braut Ihnen einen Ersatzkaffee. Ihr Verlobter kann Ihnen seine selbst gemachte Prothese zeigen, bis Jesus kommt.« Er zog sie in die Wohnung und knallte die Tür zu. »Meine uneheliche Tochter verfault unter einem Schuttberg. Ach ja, und Katharinas Mutter wurde zu einem Mann operiert. Bevor sie ihren Mann ermorden konnte, ist sie tödlich verunglückt. Eine wunderbare Familie, nicht wahr?«
    Tränen standen in seinen Augen. Er biss sich auf die Lippen. Der Größere wischte sich ein Staubkorn vom Revers seines Sakkos. Mit sanftem Druck lotste Martin die Prediger durch den Flur zum Schlafzimmer und schob sie hinein. Bevor sie registrierten, wo sie waren, sperrte Martin ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Wie bei einer Schlossführung betrachteten sie schweigend die spärliche Einrichtung: Auf der Kommode neben der Tür stand eine fast hüfthohe Marienfigur mit erhobenen Armen, in denen statt eines Jesuskindes getrocknete Heublumen lagen. Sie lächelte trotz allem. Hinter dem breiten, dunkel gebeizten Bett brach das Zimmer ab. Die eingerissenen Tapeten an der Abbruchkante der Mauer waren penibel abgetrennt. Helle Flecken auf der Wand über der Kommode erinnerten an die naiven Ölgemälde, die noch im Juli hier hingen.
    Ängstlich drückten sich die beiden Adventisten an die Wand. Martin trat drei Schritte vor und wandte sich zu ihnen um.
    »Nichts ist mehr an seinem Platz.«
    Sie nickten

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