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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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unterseeischen Kuppel von Brooklyn City lagen die Technologen der Objektivisten-Kommune mit ihren Frauen und Kindern in den Betten, schliefen, entspannten sich und atmeten die frische, kühle Luft, mit der sie die freundlich vor sich hinsummenden»Generatoren versorgten. Über ihnen erhob sich der halbkugelförmige Dom, der vom Meeresboden aufragte, aus starkem flexiblem Material war und dessen nachgiebiger, starker Luftdruck die unvorstellbare Masse des Ozeans von ihnen fernhielt.
    Terror und Zerstörung suchten meine Träume heim. Ich erwachte. Am fernen Himmel hörte ich das Echo des leiser werdenden Donners einer zur Raumstation startenden Shuttle. Donner, Erdbeben, brechende Mauern, Risse in den Wänden; Menschen, die vor einer heranrasenden Wasserwand fliehen.
    Stille kehrte in meinen Geist zurück. Das Bild löste sich auf. Die Wände waren fest und real. Ich berührte die Wand hinter meinem Kopf mit der Hand und stellte fest, daß sie in Ordnung war und bloß aufgrund des tiefen Summens vibrierte, das die Geräusche der Nachtzüge dieser mechanisierten Stadt hervorriefen. Sie fuhren unter der Erde, brachten Waren herein. New York – sicher, beschützend, automatisiert.
    Drohte irgendwo Gefahr? Ich tastete mich in den Traum zurück, aber er bestand nur noch aus leisem Donner und einem Gefühl der Warnung. An ihn denkend, rollte ich mich auf den Bauch und schaltete die kleine Leselampe ein, die am Kopfende meines Schlafsacks hing, und schrieb in ein Notizbuch: „Brechende Mauern, ertrinkende Menschen.“ Dann sah ich, daß in meiner Handschrift am Kopf der Seite geschrieben stand: „Himmel stürzt ein, 19. Juni.“
    Ich mußte den gleichen Traum schon vorher geträumt und versucht haben, ihn während des Schlafs niederzuschreiben. Ich strich mir durchs Haar, zupfte daran und versuchte nachzudenken. Ich lag, auf einen Ellbogen gestützt, in einem bequemen Schlafsack im Gästeraum der Kommune der Karmischen Bruderschaft. Auf dem Boden lagen andere Schläfer in ihren Schlafsäcken und atmeten ruhig. In der Nähe lugten zwei Köpfe aus einem Schlafsack. In einer schattigen Ecke saß ein Mann im Schneidersitz, hatte sich zurückgelehnt und meditierte mit friedfertigem Gesichtsausdruck.
    Vielleicht hatte er gemeint, daß das Aufschreiben von Träumen mich besser in Kontakt mit dem Unterbewußtsein bringen und mir helfen würde, die Gedanken anderer Leute aufzufangen. Vielleicht waren Träume Warnungen und bezogen sich auf Pläne, die die Leute in Schwierigkeiten bringen würden. Vielleicht sollte ich jetzt etwas unternehmen.
    Ich zupfte an meinem Haar und versuchte mich zu entscheiden. Vielleicht sollte ich Ahmed anrufen. Aber Ahmed würde um drei Uhr morgens nicht ans Telefon gehen. Und wenn ich ihn anrief und sagte, es sei ein Notfall, weil am 19. Juni etwas passieren würde? Aber jetzt stand uns erst mal der 15. Juni ins Haus. Ich hatte vier Tage, um darüber nachzudenken.
    Die Schlafenden, die um mich herumlagen, atmeten ruhig.
    Der Traum löste sich schnell auf; es blieben nicht einmal Erinnerungen an überzeugende Einzelheiten zurück. Vielleicht war er gar nicht real gewesen.
    Mit einem Seufzen glitt ich auf die weiche Deckenrolle zurück, die unter meinem Kopf lag, und schlief wieder ein.
     
    H IMMEL STÜRZT EIN , 19. J UNI . Donner und brechende Mauern.
    Ich wachte früh auf, um einem schlechten Traum zu entkommen. Es war ein heißer Morgen. In den Bäumen, die auf den Hausdächern standen, zwitscherten Vögel, und vor dem Fenster kreischte eine Möwe. Sie glitt vorbei und warf einen großen Schatten auf die Wand.
    Ich stand auf, war hellwach und hatte das Gefühl, zu spät zu einem Termin zu kommen. Die Kalenderuhr an der Wand sagte 18 J UN 6:23. Ohne zu wissen, warum, hatte ich die Befürchtung, mich beeilen zu müssen.
    Nackt wie ich war, steckte ich den Kopf aus dem Fenster und sah auf den von hellen Wolkenstreifen erleuchteten Himmel. Alles war friedlich. Mit dem Kopf aus dem Fenster versuchte ich mich auf Leute einzustimmen, die in Schwierigkeiten waren. Ich stellte mir vor, irgendwo festzusitzen und Angst zu haben. Ahmed hatte sich zwei oder drei Tage nicht sehen lassen, aber ich war der Arbeit die ganze Zeit nachgegangen und fand verschwundene Kinder, Katzen in Mülleimern; Touristen, die sich verlaufen hatten und sich nicht an den Namen ihres Hotels erinnern konnten, und alte Leute in mit Handabdruck-Schlössern versehenen Wohnungen, deren Türen nur auf sie selbst reagierten. Die alten Leute

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