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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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verspürte ich eine seltsame, starke Erregung und das Verlangen, einen Kopf an den Haaren mit mir herumzuschleppen.
    „Wie heißen Sie?“ fragte die Telefonstimme plötzlich deutlich und bestimmend.
    „Charles Shiras.“
    „Wo wohnen Sie?“
    „Wilmont Street Nummer zweiundzwanzig“, erwiderte ich spontan und fand dann zu mir selbst zurück. Ich hatte eine Gänsehaut und trennte jemandem in Gedanken mit einem zackigen alten Schnitzmesser den Kopf ab. Meine Hand spürte die Vibrationen, die das Messer erzeugte.
    „Ich habe den Namen“, sagte der Polizei-Expedient am anderen Ende. Seine Stimme klang zwar immer noch monoton, zeigte jetzt aber eine Spur von Interesse. „Und was fange ich jetzt damit an?“
    „Geben Sie der Rettungsbrigade Bescheid. Sie soll Charles Shiras festnehmen und ihn dann zu einer medizinischen Überprüfung bringen“, sagte ich.
    „Sie sind nicht Charles Shiras?“
    „Nein, ich bin George Sanford.“ Endlich kapierte er.
    Die Routine des In-Gewahrsamnehmen kannte ich aus der Zeit, in der ich auf Ahmed wartend im Hauptquartier herumgehangen hatte. „Sie sollen ihn festnehmen und auf Psychosen untersuchen lassen. Die Ärzte kann er nicht beschummeln. Und wenn er einen Anwalt ruft … falls sie ihn nicht in eine Zwangsjacke stecken … dann gibt es garantiert Stunk.“ Ich hoffte, daß er an den Ärzten nicht vorbeikam. Aber wie konnte ich ihn kriegen? Was hatte ich gegen ihn in der Hand? Daß er ein Bursche war, der mir Kopfschmerzen bereitete? Wieviel würde die normale Polizei der Rettungsbrigade durchgehen lassen? Festgenommen werden kann man schließlich nur, wenn man etwas verbrochen hat. Die Rettungsbrigade konnte die Verbrechens- und Unfallrate durch abwehrende Maßnahmen zwar senken, indem sie Unruhestiftern zuvorkam. Aber aufgrund welcher Gesetze? Wer festgenommen wird, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, ist unschuldig. Ich holte tief Luft – und fing zufällig die Vibrationen des Irren auf: Er stellte sich vor, die Hand eines anderen in einen Toaster zu schieben. Ich fühlte Schmerz und Macht. Vielleicht hatte der Mann nur eine Scheibe Brot aus dem Mittelteil eines harten Pumpernickel-Laibs geschnitten, statt eine Kehle durchzusäbeln, und schob jetzt die dicke Scheibe in den Toaster und keine Hand. Aber seine Vorstellung, dies mit einer Hand zu tun, und die Freude, die er dabei empfand, ließ mich frösteln. Sadismus geht tief: Er hat starke, primitive Wurzeln. Ich mag nicht einmal wissen, daß so was einen erfreuen kann. Es könnte ansteckend sein und irgendeines Tages jemandem Schmerzen bereiten. Ich bin zu stark. Ich werde darauf achten müssen.
    Eine Zeitlang war der Expedient mit Schaltungen und Funksprüchen beschäftigt. Dann kam er ans Telefon zurück. „Buchstabieren Sie Ihren Namen George Sandford?“
    „Sanford, mit nur einem d“, sagte ich und wechselte von einem Bein auf das andere. In der Hitze fing ich in meinen Sandalen an zu schwitzen. Wenn man geht, sind sie kühl, aber nicht beim Stehen. Auch der Stereokopfhörer drückte heiß auf meine Ohren und ließ mich schwitzen. Er war zu eng und für kleinere Köpfe gemacht als meinen. Mit einem leisen Summen fuhr langsam ein Rentnerbus an mir vorbei, aber er erzeugte nur eine kleine Brise.
    „Dienstmarkennummer?“ fragte das Telefon.
    „Ich habe keine. Ich bin Spezialist, Kategorie J.“ Das hörte sich gut an, auch wenn es nur bedeutete, daß ich die Prüfungen nicht schaffte, die man brauchte, um fest angestellt zu werden. Ein Spezialist braucht nicht mehr zu kennen als das Gebiet, auf dem er Experte ist, aber alle Experten werden mit Respekt behandelt. „Spezialist, Kategorie J“, sagte ich noch einmal und sonnte mich in dem Respekt, den die Leute mir entgegenbrachten, wenn ich das sagte. Experte zu sein gefiel mir.
    Eine Minute lang war der Expedient damit beschäftigt, die ein- und ausgehenden Funksprüche der Armbandsender und Polizeihubschrauber aufzunehmen, dann sagte er: „Sanford? Sind Sie noch dran? Ich habe eine Anweisung von Chief Oslow von der Rettungsbrigade für Sie. Die Gruppe, die Ihren Verdächtigen festnimmt, wird gleich zur Neurologie weiterfliegen. Gehen Sie mit an Bord und suchen Sie im gleichen Gebäude das Zimmer 106 auf. Dort ist ein Mädchen, das Ihnen helfen wird, die Einsatzreports auszufüllen, die in solchen Fällen erforderlich sind. Sie wird Ihnen helfen. Ihre Dienststelle möchte wissen, was Sie in den letzten vier Tagen gemacht haben.“
    Als ich den Kopfhörer

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