Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
Vom Netzwerk:
wirst du für jeden Fall, den du gelöst hast, separat bezahlt. Guck nicht so enttäuscht. Jetzt bist du Sonderberater. Du stehst auf meiner Gehaltsliste. Da bin ich dazu verpflichtet, deine Mahlzeiten zu bezahlen und dir das Fahrgeld zu erstatten, wenn ich dich irgendwo hinbringe, wo ich deine Beraterdienste brauche.“
    „Dann brauche sie jetzt“, sagte ich.
    Wir aßen ein großartiges Mahl in einem altmodischen italienischen Restaurant: Lasagne, Antipasto, Brot in dicken, harten Scheiben, eine Unmenge Margarine, einen Salat, vier Tassen heißen, schwarzen Kaffee und zum Nachtisch Spumone, herrlich und süß. Alles schmeckte frisch, war genau richtig gekocht und wurde mit Eleganz serviert. Nach der zweiten Lasagnehälfte hörte ich auf zu zittern; nach der zweiten Tasse Kaffee fühlte ich mich großartig.
    Da war etwas Komisches an diesem Restaurant. Jemand plante einen Mord. Aber das wollte ich Ahmed erst nach dem Dessert sagen.
    Möglicherweise hätte er gewollt, daß ich jemanden rette, statt zu essen.
    Wir lehnten uns zurück und sprachen über die alten Zeiten, als er noch unser Bandenführer und ich noch ein Bürschlein gewesen war. Und wir erinnerten uns an alte Witze. Irgendwo an einem anderen Tisch verzog sich die blutige Wolke des Mordplans. Die Tat wurde verschoben. Ich kümmerte mich nicht mehr darum.
    In dieser Nacht schlief ich im Besucherzimmer der Karmischen Bruderschaft, und als wir uns zum Lesen und Meditieren hinsetzten, erzählte ich den anderen Besuchern von meinem neuen Job und fragte sie, wie ich noch ein besserer Aufspürer von Leuten in Schwierigkeiten werden und mein ESP verbessern konnte.
    „Durch Praxis“, sagten die anderen und deuteten auf einen dünnen, alten Mann, der ein Taoist und Ratgeber war. Er saß an der Wand und konnte die Vergangenheit der Menschen erkennen und ihnen Ratschläge für die Zukunft geben, egal, wo er auch gerade war. „Frage ihn.“
    Ich ging zu ihm hin, nahm Platz und wartete darauf, daß er mich ansah und ich meine Fragen stellen konnte. Er saß mit geschlossenen Augen da und war sehr alt, mager, würdevoll und nett.
    Ohne die Augen aufzumachen, sagte er: „Ich bin glücklich, daß du deinem Leben ein Ziel gegeben hast. Ich habe niemals versucht, andere Seelen zu lokalisieren. Ich habe nur versucht, mit ihnen eins zu werden und alles mit ihnen zu teilen. Ich glaube, deine Seele ist in Gefahr, weil du dich nicht verschließen kannst und für das Böse in den anderen stets erreichbar bist. Du darfst dem Bösen in den anderen keinen Widerstand leisten. Du mußt ihm mit Sympathie begegnen, es verstehen und lieben. Sonst kannst du nichts tun. Es gibt keine Sicherheit, denn in dir sind keine Mauern.“ Seine Stimme war alt und zittrig.
    Er rutschte unbehaglich hin und her und strich über seinen Bart. „Aber jetzt sehe ich, daß du ungeduldig und ohne Furcht bist und nur Worte über deine Gabe des Leutefindens hören möchtest. Ich kann dir nur folgendes sagen: Der beste Weg, die Zukunft zu sehen, sind die Träume. Ich glaube, du solltest eine kleine Taschenlampe und ein Notizbuch neben deinen Schlafsack legen. Ich will dir gerne mein Licht und meine Tafel leihen.“
    Ich wollte zwar gar nichts über die Zukunft erfahren, aber ich dankte ihm und nahm sein Licht und seine Tafel. Als ich einschlief, hörte ich die leise Musik aus den Ohrlautsprechern der anderen, die ebenfalls in ihren Schlafsäcken lagen. Der alte Mann sprach ein Gebet. „Er möge aufwärts treiben mit den Gezeiten des Lichts, nicht abwärts mit denen der Dunkelheit. Möge er nur Seelen retten, die auch gerettet werden wollen. Wen immer er auch bewahrt, laß ihn wissen im Traumland; laß sie Freunde werden und sich darauf vorbereiten, die Oberwelt zu sehen.“ War das Gebet für ihn oder für mich?
    Immer wenn ich träume, werde ich ein anderer. Oft träume ich, daß ich Biggy bin, der früher in unserer Straßenbande war, jetzt erwachsen ist, Ziegenherden hütet und von der Exil-Pension lebt.
    Aber als ich diesmal zu träumen anfing, war ich jemand in New York.

 
2
     
    Die rote Neonschrift am Himmel blinkte:
     
    DU BIST NICHT ALLEIN!
    Verwirkliche dich,
    gehe deinen Interessen nach,
    suche einen Partner,
    finde zu dir selbst,
    mit „Harmonie“-Persönlichkeitsdiagnose
    und Partnerschaftsdienst.
     
    Carl Hodges war allein. Er stand in einem verwaisten, ruinierten Teil der Stadt und sah das rote Leuchten der Werbung, die sich vom nebeligen Nachthimmel New Yorks abhob und wie eine

Weitere Kostenlose Bücher