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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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die durch den Panikknopf ihres Vorgesetzten herbeigerufen worden waren, hielten mich in einem Griff, der mir die Ellbogen brechen konnte, wenn ich mich wehrte. Ich stand still.
    „Mal sehen, was Sie da in der Hand haben“, sagte einer der Assistenten. Er war fast so groß wie ich, aber kein Schläger. Sein Tonfall war gelassen, sein Gesichtsausdruck beinahe freundlich. Er veränderte seinen Griff, nahm die Papiere und reichte sie dem Mann, den ich angesprochen hatte.
    Der junge Arzt las sie sorgfältig durch, dann reichte er sie mir wieder hin. „Er ist in Ordnung“, sagte er zu den beiden, die mich nun losließen. „Sie hätten in der Tasche ebensogut nach einem Revolver suchen können“, erklärte der Arzt, als ich die Papiere wieder einsteckte. „Wir haben hier schon die tollsten Sachen erlebt, und von drei bis fünf ist Geisterstunde; dann fliegen die Vampire ziemlich tief.“
    „Ich war müde und hatte eine schlechte Nacht“, sagte ich. „Tut mir leid.“
    Er nahm mich mit zur Rezeption und besorgte mir einen Besucherausweis. „Sie kommen zwar außerhalb der Zeiten, in denen normalerweise Führungen gemacht werden, aber die Leute haben nicht zuviel zu tun. Das hier wird Ihnen einige Ihrer Fragen beantworten.“
    Ich las es. „Erlaubnis für George Sanford, die Psychiatrische Abteilung der Polizei für kriminelle Gewalttäter im 18. Stock, B-Flügel, zu besuchen und zu verlassen.“
    Ich nahm den Lift und fuhr aufwärts an ruhig schlafenden Patienten vorbei. Die Stockwerke waren voll von ihnen, aber als ich oben ankam, warf mich das Durcheinander der Vibrationen rückwärts gegen die Tür.
    „Suchen Sie jemanden?“ Ein Mann mit einer weißen Jacke und blauen Hosen. Polizeimarke.
    „Ich bin von der Rettungsbrigade, ich bin neu, gerade angeheuert worden. Ich möchte gerne wissen …“ Die stummen, panischen Schreie, die hinter den geschlossenen Türen hervorkamen, trockneten fast mein Gehirn aus. Ich machte ein verlangendes Gesicht und deutete auf die Türen. Der Polizeiarzt konnte weder hören noch fühlen, was da drinnen vor sich ging, aber er mußte davon wissen.
    „Oh. Sie sind wegen eines Bildungslehrgangs hier? Haben Sie einen Ausweis?“
    Ich zeigte ihm meine Karte und den Paß, den der Arzt mir ausgestellt hatte. Einer dieser grauenhaften Schreie nahm die Obertöne kindlichen Freudengeplärrs an, wurde jung und immer jünger, widerspiegelte ärgerliche Kindheitserinnerungen, aber auch schöne und feurige, wie der Saft von Maraschinokirschen oder heißem Zimt. Das Brennen wurde heißer, bis ich versuchte, ihm rückwärts zu entkommen. Ich spürte, daß die Frau hinter der Tür ihre Erinnerungen zu stoppen versuchte, aber die Flammen schlugen höher, wurden heißer und heller und schraubten sich über das hinaus, was menschliche Gehirnzellen ertragen können. Eine sich lautlos aufblähende Explosion aus weißem Schmerz zerfetzte sie.
    Ich war noch dabei, mich von den Erfahrungen der anderen Leute zu lösen, als alles einen Höhepunkt erreichte und sich selbst vernichtete.
    Der uniformierte Arzt studierte meine Ausweise.
    Er beendete irgendeinen Satz und wartete. Ich stand da, wie leergefegt.
    „Verpassen Sie den Leuten hier eine Gehirnwäsche?“ fragte ich. Obwohl die Frau hinter der Tür keine geistigen Vibrationen mehr ausstrahlte, war sie keinesfalls tot. Immer noch war da ein Gefühl von Leben, wie bei einem Tier.
    Der Arzt wechselte unbehaglich das Standbein und sah mich an.
    „Diesen Ausdruck benutzen wir hier nicht. Sie sind jetzt ein Profi. Die richtige Bezeichnung für diesen Ort lautet Elektronisches Persönlichkeitsrestrukturationslabor. Gehirnwäsche sagen die Laien, die von unseren Behandlungsmethoden keine Ahnung haben.“
    Warum spüren bloß die meisten Leute keine Vibrationen? Er stand ganz friedlich da, erzählte mir etwas und spürte nicht das geringste, während ich mich bemühte, meine Gefühle zu einem harten, kleinen Knoten zusammenzuziehen und in einer kleinen Ecke vor den stummen Schreien zu verbergen, die nun aus einem anderen Raum kamen. „Wie könnt ihr das nur aushalten?“
    Der Polizeiarzt verstand nicht, daß ich damit das Auffangen von Gefühlen meinte. Er sagte: „Wir sind nicht grausam. Es ist eine wirklich humane Behandlung. Wenn ein Patient verändert wurde, ist er in der Regel dazu in der Lage, ein glückliches Leben zu fuhren. Diese Behandlung ist die einzige, die verhindert, daß sie Rückfälle erleiden und wieder in den Kreislauf von Kriminalität

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