Der Esper und die Stadt
Spritze auf ihn zugegangen war. Hisham schenkte ihm ein freundliches Nicken und sagte: „Gefangener, man hat Ihnen gerade eine Wahrheitsdroge verabreicht. Zählen Sie von zwanzig an rückwärts.“
„Zwanzig, neunzehn, achtzehn, siffzehn, sechzehn, sechzehn, zwölf, neun …“ Ahmeds schlankes, stolzes Gesicht mit den schwarzen Augenbrauen sah semitischer aus als das der Araber. Er hörte auf.
Das lederartige Lächeln auf dem Gesicht des Führers wurde breiter. Er sah kurz die anderen an, dann beugte er sich zu Ahmed hinüber. „Und jetzt, unter dem Einfluß der Wahrheitsdroge, können Sie mir jetzt meine Zukunft weissagen?“
Ahmed sah auf die Tischplatte hinab. Er zog die biegbare Leselampe näher heran, schüttelte den Tisch, und kleine Sandhügel liefen durcheinander und zerliefen in alle Richtungen, weg vom Licht.
„Ich kann immer noch Biller schehen“, sagte er, „aber ich kenne Ihre Frage nischt … Verzeihung … Die Droge lähmt meine Schunge.“
Er sah auf, müde, mager, aber wachsam. Seinen Augen unter den dichten, schwarzen Brauen entging nichts. „Ich kann’s versuchen. Wollen Schie Vergangenheit, Gegenwart oder Schukunft?“
„Wundervoll! Ein Mensch mit einer Wahrheitsdroge im Blut, der mir trotzdem die Zukunft weissagen will“, sagte Hisham zu den anderen. Er wandte sich wieder Ahmed zu, als interessiere er sich brennend für ein Kinderspiel. Dann wechselte er die Position und nahm auf einem Kissen Platz, das Ahmed näher war. Selim war nun von ihm weiter entfernt. Lächelnd stellte er eine Frage, über die es gar nichts zu Lächeln gab. „Wahrsager, sag mir, warum die anderen zu reden aufhörten, als ich hereinkam.“
Die Araber hatten bisher lächelnd miteinander gemurmelt, aber diese Frage schien sie wie ein Keulenschlag zu treffen. Schlagartig verstummten sie.
Selim strahlte eine Welle aus Zorn und Haß ab. Er stand auf, massierte seine Hände, schätzte die Entfernung zu seinem Führer ab und fragte sich offensichtlich, ob die anderen den Status quo akzeptieren und ihm folgen würden, wenn Hisham tot wäre.
Akbar Hisham wandte sich um, damit die anderen sehen konnten, daß auf seiner offenen Handfläche ein kleiner Laser lag. Er schloß die Hand jedoch nicht. Statt dessen fragte er Ahmed über die Schulter hinweg: „Sage mir, über was sie gesprochen haben, als ich hereinkam.“
Ahmed antwortete mit erhobenem Kopf. Er sah wachsam aus und behielt Selim im Blickfeld. „Ich hatte Selim die Zukunft geweissagt. Ich sagte, daß er den Plan hat, die Macht im Lager an sich zu reißen, aber daß dieser Plan sein Tod sei.“
Der Laser in der Hand des Anführers deutete nun auf Selim.
Ahmed fuhr fort: „Als Sie hereinkamen, versuchte er gerade mich umzubringen, und die anderen rissen Witze über das, was ich ihm erzählt hatte.“
Selim, der untersetzte Kronprinz, hatte seine gebückte Haltung nicht aufgegeben, aber jetzt sah er so aus, als wolle er Ahmed angreifen. „Er lügt. Ich bin immer loyal gewesen, Effendi. Und weil er log, wollte ich ihn umbringen.“
Akbar Hisham bewegte seinen kahlen Kopf nickend hin und her. „Möglich. Ich glaube nicht an Wahrsagerei. Und für einen Gefangenen wäre es eine gute Strategie, Freunde gegeneinander aufzuhetzen. Frage ihn, was er jetzt von deinen Plänen weiß. Diesmal kann er nicht lügen.“
Selim sah Ahmed an. Ihre Blicke kreuzten sich ziemlich lange, dann schluckte Selim und schaute weg. „Effendi, er … er wird lügen.“
Akbar Hisham neigte den Kopf in Richtung auf die anderen Soldaten. „Entwaffnet ihn.“ Mir war nicht klar, ob der Laser auf alle oder nur auf Selim zeigte.
Die Männer redeten alle auf einmal. Mit ehrlich gemeinten Gesten und großer Erleichterung deuteten sie auf den Stapel Waffen, den sie Selim abgenommen hatten, und erklärten, ihn bereits bis auf ein kleines Messer entwaffnet zu haben. Sie wollten sicher zeigen, daß sie loyal waren. Zwar sprachen sie Arabisch, aber ihre Bewegungen sagten alles.
Hisham nickte zustimmend. Die hemdenlosen Soldaten nahmen Selim ohne viel Federlesens das Messer ab.
Selim beteuerte wütend seine Unschuld und zeigte auf eine kleine Metallbox mit einem roten Knopf. Sie stand zwischen den zerbrochenen Tassen und einigen Spielkarten auf einem der Kaffeetischchen. Ich wünschte mir, ihre Sprache verstehen zu können. Die Araber waren alle zweisprachig und wechselten mühelos von einer Sprache in die andere über. Was war in dieser Box?
Akbar Hisham nickte. Dann zuckte er die
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