Der Ewige Held
Hawkmoon mußte sich gedulden, bis er näher war. „Er erinnert mich an jemanden, aber ich bin mir nicht klar, an wen."
„Er hat sich nicht angemeldet." Graf Brass zuckte die Schultern. „Aber es ist ja nicht mehr wie früher. Die Zeiten sind friedlicher."
„Für manche", murmelte Hawkmoon und ärgerte sich sogleich über das Selbstmitleid, das aus diesen Worten klang. Zu lange hatte er sich ihm hingegeben, und nun, da er es endlich überwunden glaubte, war er überempfindlich, wenn sich doch immer wieder Nachwehen bemerkbar machten. Denn hatte er sich früher von diesem Gefühl völlig überwältigen lassen, so lehnte er es nun ab und zeigte eine absolute Gleichmütigkeit - eine Erleichterung für alle, außer jenen, die ihn wirklich gut kannten und ihm die größte Zuneigung entgegenbrachten. Yisselda ahnte seine Gedanken. Sanft strich sie ihm mit einem Finger über Lippen und Wange. Er lächelte sie dankbar an, zog sie an sich und küßte sie auf die Stirn.
„Aber jetzt muß ich mich für unsere Reise fertigmachen", entschuldigte sie sich.
„Bleibst du hier bei Vater, um den Besucher zu empfangen?" fragte sie.
Hawkmoon nickte. „Ja, es könnte schließlich sein."
„Du darfst dir keine falschen Hoffnungen machen", mahnte sie ihn liebevoll. „Die Chance, daß er etwas über Manfred und Yarmila weiß, ist mehr als gering."
„Du hast recht."
Yisselda lächelte ihrem Vater zu und verließ den Raum.
Graf Brass trat an einen polierten Eichentisch, auf dem ein Tablett stand. Er hob einen Zinnkrug.
„Trinkst du noch ein Glas Wein mit mir, ehe ihr aufbrecht?"
„Ja, gern."
Hawkmoon setzte sich zu Graf Brass an den Tisch und nahm den kunstvoll geschnitzten Holzkelch, den der alte Recke ihm reichte. Er trank den Wein und unterdrückte die Versuchung, ans Fenster zurückzukehren, um festzustellen, ob er den Besucher jetzt erkennen würde.
„Mehr denn je bedaure ich, daß Bowgentle nicht mehr unter uns weilt. Er könnte uns gut beraten", sagte Graf Brass. „All diesem Gerede von weiteren Existenzebenen, anderen Wahrscheinlichkeitswelten, und über die Möglichkeit, daß tote Freunde doch noch leben könnten, haftet ein bedrückender Okkultismus. Mein ganzes Leben lang habe ich den Aberglauben verabscheut, und pseudophilosophische Theorien verachtet. Ich habe eben nicht den Verstand, um ohne weiteres den Unterschied zwischen Scharlatanerie und den wahren metaphysischen Dingen zu erkennen."
„Bitte betrachte es nicht als morbide Wunschträume, wenn ich sage, ich habe Grund zur Annahme, daß uns Bowgentle eines Tages wiedergegeben wird."
„Der Unterschied zwischen uns, nehme ich an", sagte Graf Brass, „ist, daß du dir trotz aller wiedergewonnenen geistigen Stabilität gestattest, gewissen Hoffnungen nachzuhängen, während ich, zumindest aus meinen bewußten Gedanken, schon seit langer Zeit den Glauben an Wunder verbannte. Dein Glaube daran erwacht offenbar immer wieder aufs neue."
„Ja - durch viele Leben hindurch."
„Wie meinst du das?"
„Ich denke an meine Träume. An die seltsamen Träume, in denen ich mich in den verschiedensten Körpern sehe. Ich dachte, diese Träume entsprängen meinem Wahnsinn, aber nun bin ich mir nicht mehr so sicher. Sie wiederholen sich auch jetzt noch regelmäßig."
„Seit du mit Yisselda zurückgekehrt bist, erwähntest du sie nicht mehr."
„Sie quälen mich nicht wie früher, aber ich erlebe sie jede Nacht aufs neue. Ich bin Elric und Erekose und Corum, ja, hauptsächlich diese drei, aber auch noch viele andere. Manchmal sehe ich den Runenstab, manchmal ein schwarzes Schwert. Und alles erscheint mir von großer Bedeutung. Ja, hin und wieder, wenn ich allein bin, vor allem, wenn ich durch die Marschen reite, werden die gleichen Träume auch am Tag in mir wach. Vertraute und fremde Gesichter schieben sich vor mein inneres Auge. Ich höre Wortfetzen, und am häufigsten diese so schreckliche Phrase: ,Ewiger Held'. Früher hätte ich geglaubt, nur ein Wahnsinniger könne von sich selbst als einem Halbgott denken."
„Genau wie ich", versicherte ihm Graf Brass und schenkte Hawkmoon Wein nach. „Aber es sind die anderen, die ihre Helden zu Halbgöttern erheben. Wie sehr ich wünschte, die Welt brauchte keine Helden."
„Eine gesunde Welt bedarf ihrer auch nicht."
„Aber vielleicht könnte nur eine Welt ohne Menschen gesund sein." Graf Brass' Lächeln wirkte düster. „Vielleicht sind wir es, die die Welt zu dem machen, was sie ist?"
„Wenn ein Mensch
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