Der Facebook-Killer
Geza die Straße zu Danielles Haus und kam sich dabei vor wie die verängstigte Protagonistin eines sehr, sehr billig gemachten Thrillers.
Die Haustür war nur angelehnt. Geza lockerte ihren Griff um den Schlüsselbund in ihrer Manteltasche.
Mafro ging leicht in die Knie und flüsterte: „Drücken Sie mal dagegen!“
Die Wölfin tat, wie ihr geheißen. Mit leisem Quietschen schwang die Tür auf und gab den Blick auf den von Geza erwähnten kurzen Hausflur mit vier Stufen zur Praxistür und der Treppe weiter ins erste Obergeschoss frei. Es gab absolut nichts zu sehen.
„Rufen Sie nach ihr“, wisperte Fronzac.
„Danielle?“, rief Geza mit der festesten Stimme, die sie zustande bekam.
Keine Antwort.
„Wir müssen rein – oder rauf. Sie kann in beiden Etagen sein“, entschied Mafro. „Ich würde lieber auf die Verstärkung durch die Kollegen warten, aber Madame Kahn könnte in akuter Gefahr sein. Bitte bleiben Sie hinter mir; Sie mögen mal Kriminalpsychologin gewesen sein, aber Sie sind bestimmt seit Jahren aus der Übung.“
Sie nickte, und er huschte hinauf zu der Tür zu den Praxisräumen und versuchte, den Türknauf zu drehen. Verschlossen.
„Dafür habe ich keinen Schlüssel“, wisperte Geza, die geduckt im Schutze des Treppengeländers kauerte.
Mafro glaubte ohnehin nicht, dass Danielle Kahn tatsächlich noch in diesem Haus war. Der Killer hatte sie, und er hatte sie sehr wahrscheinlich irgendwo mit hingenommen, wo er ohne Zeitdruck mit ihr seinen Spaß haben konnte.
Doch das sagte er nicht laut; er nickte nur, legte den Finger an die Lippen und deutete nach oben. Blitzschnell huschte er hinauf – auf dem Gang vor der Wohnungstür lag ein Schlüsselbund am Boden. Fronzac kauerte sich hin und nahm ihn näher in Augenschein. Besonders auffällig war der Autoschlüssel.
„Da de Ségur, wie wir wissen und gesehen haben, eine Corvette fährt, dürfte das sein Schlüsselbund sein“, sagte er leise und betrachtete den obenliegenden Autoschlüssel genau. Die Wölfin nickte zustimmend.
„Geben Sie mir bitte den Wohnungsschlüssel“, fuhr Fronzac fort.
Geza fasste in die Tasche und brachte einen recht dicken Schlüsselbund zum Vorschein, den sie Fronzac so reichte, dass er den richtigen Schlüssel – ein Exemplar der Gattung Sicherheits-Bartschlüssel – gleich in der Hand hatte. Der steckte ihn fast lautlos ins Schloss, drehte ihn – und trat dann so explosiv die Tür auf, dass sie links gegen die Wand respektive die Ecke eines kleinen Garderobenschränkchens knallte, auf dem Danielle Schlüssel, ihre Clutch, Tagespost und dergleichen abzulegen pflegt. Gleichzeitig brachte er ruckartig die Dienstwaffe in Anschlag und rief: „Polizei – niemand bewegt sich!“
Außer einem leichten Nachhall gab es keine Reaktion.
Sie eilten hinein und durchsuchten die Wohnung. Danielle war tatsächlich nicht da, und es gab nahezu nichts Auffälliges zu entdecken. Lediglich an der Kante ihrer Frisierkommode fanden sie etwas Blut. Auf diesem Möbelstück stand Danielles Laptop. Das grüne Kontrolllicht leuchtete, und als Geza den schräg stehenden Deckel etwas weiter öffnete, verschwand der Bildschirmschoner, und sie hatte Danielles Facebook-Seite vor sich.
Die Chatbox war offen; die Datumsanzeige zeigte an, dass der letzte Beitrag Danielles etwa zwanzig Minuten nach ihrem gemeinsamen Essen mit Geza getippt worden war. Danielle hatte sich von einem Gesprächspartner namens Vince Vega verabschiedet, und zwar mit den Worten:
HÖR ZU, ICH MUSS JETZT WIRKLICH OFF … VIELLEICHT GEHEN WIR JA MAL EINEN KAFFEE TRINKEN ODER SO? WÄRE NETT, MAL MEHR VON DIR ZU ERFAHREN.
Das letzte Wort in dem Dialog hingegen, das Danielle sicher nie zu Gesicht bekommen hatte, war gegen 21:14 Uhr getippt worden und stammte von Vince Vega:
PASS AUF, WAS DU DIR WÜNSCHST, DRECKFOTZE
17.2.2011, 18:11
Ein Einzimmerapartment
22, Rue de Vaugirard, Paris
Sie hatte es Mafro sagen wollen. Wirklich. Denn irgendwie hing sie noch an dem alten Chaoten. Aber dann hatte sie in seiner Wohnung angerufen – der Wohnung, die sie zweieinhalb Jahre lang mit ihm geteilt hatte – und hatte am frühen Morgen eine andere Frau am Telefon gehabt. Alles klar, Mafro. Logisch, er war ihr keine Rechenschaft schuldig, aber dann gab es auch keinen Grund, ihm von Vince zu erzählen.
Sie kannte ihn erst ein paar Tage – und ausschließlich virtuell –, aber jedes Mal, wenn sie chatteten, hatte sie die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch. Jetzt
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