Der Facebook-Killer
antwortete die Wölfin. „Was kann ich für Sie tun?“
Gleichzeitig schnappte sie sich einen gelben, karierten Schreibblock und einen Bleistift vom Schreibtisch der Telefonistin und kritzelte darauf: „Wie lang ist er schon in der Leitung?“
Die uniformierte Kollegin formte die Antwort lautlos mit den Lippen: „Knapp zwei Minuten.“
Mafro kam in die Telefonzentrale gestürmt und machte nach einer schwungvollen Drehung aus dem Gang in den Raum eine Vollbremsung, als er registrierte, dass Geza den Täter offenbar in der Leitung hatte. In seinem Kielwasser betraten der rotgesichtige Flic und Bavarois die Telefonzentrale.
„Warum arbeitet eine schöne Frau wie Sie mit diesen amoralischen Bastarden von der DSCS zusammen?“
Geza hob überrascht die Augenbrauen. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. „Äh … wie bitte, Monsieur?”
„Ich habe gefragt, warum eine schöne Frau wie Sie mit diesen amoralischen Bastarden von der DSCS zusammenarbeitet”, schnarrte die elektronisch verzerrte Stimme aus den Raumlautsprechern. René Bavarois’ Gesicht lief vor Zorn rot an.
„Im Übrigen ist mir durchaus bewusst, dass die Herrschaften inzwischen aller Wahrscheinlichkeit nach mithören. Bonjour, Monsieur le Commandant Bavarois.“
„Der kennt mich …“, konstatierte Bavarois in verblüfftem Tonfall das Offensichtliche. Alles Blut war mittlerweile aus seinem spitzen Gesicht gewichen; er war leichenblass.
Mafro nickte. Der Anrufer kannte Interna aus der DSCS, und das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut.
Der Anrufer sprach weiter, nun in einem fast predigerhaften Ton: „Mit Wasser, mit Kugeln, mit Feuer: Ich erhebe mich über die Sünder, ich würge, ich verbrenne, ja, ich richte sie. Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Mein ist die Rache, spricht der Herr.”
Ein junger Techniker trat neben Geza und hielt ihr seinen Notizblock unter die Nase. „Fangschaltung läuft. Versuchen Sie, ihn so lange wie möglich hinzuhalten!“, stand darauf.
„Warum wollen Sie mich sprechen, Monsieur?“, fragte Geza.
„Raten Sie.“
„Ich weiß es nicht. Aber es hat sicher großen Mut erfordert, hier in der Präfektur anzurufen.“
Tatsächlich hatte sie damit im Traum nicht gerechnet. „Honig um den Bart schmieren“, dachte sie, „seine Machtphantasien bedienen … das müsste ihn am Reden halten …“
Doch nur seltsam verhallte Atemgeräusche am anderen Ende der Leitung bewiesen, dass der Facebook-Killer nicht aufgelegt hatte.
„Wie entscheiden Sie, wer ein Sünder ist?”, fragte Geza. Als er nicht antwortete, begann sie, nervös auf und ab zu gehen.
Ein heftiges Rauschen in der Leitung schwappte aus den großen Raumlautsprechern in die Telefonzentrale. „Wie suchen Sie sich die aus, die gerichtet werden müssen?”
„Das Feuer brennt. Die Kugel durchbohrt. Das Wasser nimmt den letzten Rest von Luft. Niemand kommt hier aus dem Gericht, der nicht ohne Sünde ist.”
Geza Wolfs Herz raste, während sie sich gleichzeitig zwang, äußerlich Ruhe zu bewahren. Diese Stimme … dieses metallische Geflüster … es erinnerte sie an etwas …
Aber dass alle Anwesenden seine Stimme hörten, und sei sie noch so verzerrt, erfüllte noch eine andere, wichtige Funktion: Es machte ihn real. Er war kein Schatten mehr, kein Mythos, nicht der „Facebook-Killer“, an dessen Taten sich die Presse weiden und die sie in allen grausamen, notfalls auch erfundenen Einzelheiten über ihre Titelseiten schmieren konnte. Er war jetzt ein echter Verbrecher aus Fleisch und Blut. Ein mehrfacher Mörder. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
„Das ist keine Antwort.” Geza Wolfs Stimme peitschte durch die atemlose Stille der Telefonzentrale wie eine reißende Stahlsaite. „Sie wollen mir mit Bibelzitaten kommen? Na gut. Mein ist die Rache, spricht der Herr: 5. Buch Mose, Kapitel 32, Vers 35. Aber Sie schwingen sich selbst zum Richter auf. Sie foltern ihre Opfer, Sie stellen ihnen Fallen, Sie richten sie hin. Sie sind es, der das Streichholz wirft, Sie drücken den Abzug, Sie führen den Knüppel und den Dampfnagler. Sie spielen Gott, Sie bigottes Arschloch.“
„Nein. Ganz falsch, Madame Docteur. Gott würfelt nicht, hat Einstein gesagt. Ich hingegen, ich bin nur sein bescheidenes Werkzeug, und ich richte nicht … im Gegenteil, ich habe der einen, die so nett um Gnade bettelte, sogar eine Chance gelassen. Ja, ich gesteh es: Ich habe ein Spiel mit der Ordnungsmacht gespielt. Ich habe den tragischen
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