Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Zwei nackte Brüste an der Fensterscheibe im ersten Stock des Bankgebäudes. Der Fischer Wastl Hörwangl konnte es nicht fassen. Träumte oder wachte er? War es möglich, dass ihm die Wahrnehmung einen Streich spielte? Natürlich sah man durch ein Fernglas manches anders als mit bloßem Auge, aber wenn es nicht mit dem Teufel zuging, dann waren das sehr wohl zwei echte weibliche Brüste, resch und mittelgroß, hellhäutig und von der Scheibe etwas in die Breite gedrückt. Was hatten die Brüste dort verloren? Da stimmte doch etwas nicht!
Wastl Hörwangl war an diesem Tag allein zur Ballonfahrt gestartet. Die nächste Montgolfiade an dem See inmitten von Bergen würde erst im Winter stattfinden. Jetzt aber war Sommer, sogar einer, wie man ihn sich heißer nicht vorstellen konnte. Doch der Heißluftballon war wie ein Mensch. Der wollte bewegt werden, auch ohne Montgolfiade, und so hob Wastl Hörwangl in regelmäßigen Abständen ab, das Fernglas mit im Korb, außerdem eine kleine Flasche Kräuterschnaps aus der Destillerie vom Nachbarsee, dessen Wasser früher einmal blutrot gewesen war; nicht als Folge eines brutalen Verbrechens, wie sie das Tal seit einiger Zeit immer häufiger erschütterten, sondern wegen einer merkwürdigen Alge, der man dann vor Jahren mithilfe eines ausgeklügelten Wasserumwälzsystems den Garaus gemacht hatte.
Der moderne Mensch hatte Möglichkeiten, und er nutzte sie. Mitunter kamen verrückte Sachen dabei heraus: Schuhe, die mitzählten, wie viele Schritte jemand den ganzen Tag über machte, und dann ausrechneten, wie viele Kalorien man verbraucht hatte; Bücher, verborgen in tragbaren Miniaturfernsehern, die flach waren wie Bootsplanken, und Kühlschränke, die eigenmächtig Nahrungsmittel bestellten. Hörwangl hielt dies alles für einen ausgemachten Blödsinn und schüttelte den Kopf, als er an diese Erfindungen dachte.
Aber seine Gedanken kehrten flugs wieder zum Geschehen unter ihm zurück. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er hinunter. Vom Ballon aus mutete das Bergtal ganz anders an als von seinem Boot aus.
Dann linste er noch einmal durch das Fernglas. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. An der Bankfensterscheibe waren Brüste! Zweifellos war das keine Schaufensterpuppe. Die hatten harte Brüste, die sich nicht platt drücken ließen. Zweifellos stand da eine nackte Frau! Waren die Banker wegen der ganzen Krisen mittlerweile derart verzweifelt, dass sie auf solch krachlederne Werbemaßnahmen setzten? Und war so ein Marketinggag nicht etwas gewagt in einem Alpendorf, auch wenn es hier vor Wohlstandsverwahrlosten nur so wimmelte?
Wastl Hörwangl schraubte den Deckel von der Schnapsflasche und genehmigte sich einen großen Schluck. Als er erneut durch das Fernglas blickte, war die Busen-Erscheinung weg. Sachen gibt es in der Welt, sinnierte Hörwangl, die gibt es eigentlich gar nicht. Dann betätigte er den Brenner, dass es rauschte, und überblickte mit Stolz den See und die Gipfel, die ihn umgaben: Kogelkopf, Huder, Ring-, Setz- und Wallberg, Riederstein. Je weiter man oben war, umso schöner sah sie aus, die Natur, umso unbedeutender wurde das, was der Mensch schon alles angerichtet hatte. Der Mensch ist gefährlich, konstatierte Hörwangl mit gerunzelter Stirn. Der Mensch macht, was er will. Sogar mit Brüsten.
Während die Entscheidung, auf einen Lottogewinn zu hoffen, der religiösen Vertagung des Glücksverlangens entspricht, stellen die Phantasien und Träumereien von einem gelungenen Bankraub eine konkrete Utopie dar.
Klaus Schönberger (Kulturwissenschaftler und Historiker)
EINS
Die Sonne ist ein Depp.
Das dachte sich zumindest die Putzfrau Irene Heigelmoser.
Mehr als denken ging momentan auch gar nicht, weil ihre Lippen mit einem silberfarbenen Gewebeklebeband versiegelt waren. Schweigen war in diesem seltenen Fall also nur Silber.
Warum aber dachte die Heigelmoserin so über die Sonne?
Das ist schnell erklärt: Heute war Rosstag an dem See inmitten von Bergen, und während die anderen feierten, umwabert vom aufgeregten Schnauben der Tiere und dem würzigen Geruch bayerischer Pferdeäpfel, saß die Heigelmoserin gefesselt und geknebelt auf dem Teppichboden des Zimmers ihres Chefs. Den Teppich sollte sie laut Dienstplan eigentlich gerade saugen. Was offensichtlich nicht möglich war.
Und als wäre ihre Lage nicht schon schlimm genug, schien jetzt auch noch die Sonne derart unverschämt. Es hätte ja auch regnen können, oder zumindest hätte sie, die Sonne,
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