Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
umklammert. Doch der junge MP nimmt ungerührt den Namen entgegen, hebt einen wuchtigen, schwarzen Telefonhörer in seinem Verschlag und spricht ein paar Worte auf Englisch hinein.
Kurz darauf ist MacDonald da. »Sie sind bereit für einen neuen Blitzkrieg!«, ruft er, als er Staves Rad erblickt.
Dem Kripo-Beamten ist schon allein dieses Wort peinlich, ausgerechnet vor der englischen Verwaltung. »Ein günstiger Tausch«, murmelt er.
»Da kann ich nicht mithalten, alter Junge. Keine Räder in der Army. Soll ich mich auf den Gepäckträger setzen, wenn wir um die Alster radeln? Dieser Nazi-Regisseur wird Augen machen. Vielleicht kommt ihm die Idee zu einem neuen Film.«
»Sicherlich eine Komödie. Ich ziehe aber Ihren Jeep vor.«
»Dachte ich mir. Wollen Sie das Fahrrad hier abstellen?«
»Sie können Gedanken lesen.«
MacDonald wechselt ein paar Worte mit dem Posten, dann schiebt der junge Soldat die Gazelle ins Foyer. Er fasst sie mit spitzen Fingern an, als fürchte er, sich an ihr eine ansteckende Krankheit einzufangen.
Der Lieutenant deutet auf einen Jeep. »Wir könnten auch gehen. Aber erstens regnet es. Und zweitens machen wir damit mehr Eindruck.«
»Vorausgesetzt, wir haben keine Panne.«
MacDonald lässt den Motor an und rollt in gemächlichem Tempo die Straße hinunter. Nach links, dann die Alster hoch. Das Wasser grau, von Wellen und Regentropfen gekräuselt wie ein ungemachtes Betttuch.
Der Lieutenant blickt seinen Beifahrer an. »Wissen Sie, warum ich so schnell von meinen Vorgesetzten die Erlaubnis bekommen habe, Harlan zu befragen?«
»Es gibt Filmkenner im britischen Oberkommando?«
»Es gibt sogar Minister, die diesen Kerl hängen sehen wollen. Für sie ist er schlimmer als mancher SS-Mann.«
»Und warum haben Sie ihn nicht aufgeknüpft? Nur, weil seine Frau Schwedin ist?«
Der junge Engländer seufzt. »Es schwimmen so viele Fische im braunen Tümpel«, erklärt er. »Wir kümmern uns nur um die dicksten. Oder, um im Bild zu bleiben: um die Haie. Die echten Massenmörder. Die Hauptverantwortlichen. Den Rest überlassen wir euch Deutschen.«
»Besten Dank auch«, brummt Stave. Veit Harlan war Hitlers Lieblingsregisseur: Abenteuerfilme, Epen, große Stars und weite Welt. Er hat seinen »Münchhausen« gesehen, zusammen mit Margarethe. Er weiß noch, wie sie die ganze Zeit gelacht und wie sie sich noch Stunden später einzelne Szenen nacherzählt haben, auf dem Weg nach Hause, beim Abendbrot, sogar noch im Bett.
Dann »Jud Süß« im Kino, der Krieg war schon lange ausgebrochen. Der schmierige Jude, der die unschuldige, blonde Frau bedrängt, sie vergewaltigt, in den Tod treibt. Kristina Söderbaum. Weil sie in diesem wie in vielen anderen Filmen den Freitod wählt, wird sie im Volk als »Reichswasserleiche« verspottet. Sehr schön, sehr rein, immer etwas naiv. Stave fragt sich, was Harlan gefühlt haben muss, als er diese Szenen drehte: seine Frau, vergewaltigt von einem anderen. Seine Frau, den Tod wählend. Ein Erfolg war es auf jeden Fall. Goebbels ließ den Film auf Sondervorführungen SS-Männern und KZ-Wärtern zeigen, um sie zum Judenhass anzustacheln. Eine Zeitlang hatten seine Kollegen im Kommissariat über »Jud Süß« gesprochen, in der Mittagspause, abends beim Bier, durchaus mit Mordlust im Blick. Stave hatte geschwiegen, denn er hatte den Film nie gesehen, andererseits aber auch nicht gewagt, das irgendjemandem gegenüber zuzugeben.
Nach 1945 war Harlan selbstverständlich vor dem Zentralausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten gelandet. Die Experten dort hatten Tausende Hamburger in Kategorien eingeteilt: 1 – Kriegsverbrecher, 2 – Übeltäter, 3 – geringerer Übeltäter, 4 – Anhänger der NSDAP, 5 – Unbelasteter. Für Harlan gab es vor wenigen Monaten die Einteilung in Gruppe 5. Ein Persilschein erster Klasse.
Der Oberinspektor erinnert sich an die Proteste vor dem Gericht, an Manifeste in der »Zeit«, Demonstrationen vor Kinos, in denen Harlan und seine Frau im Publikum saßen. Nun läuft vor dem Hamburger Landgericht ein neues Verfahren gegen Harlan. Anklage: »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, da »Jud Süß« zu antisemitischen Gewalttaten angestachelt habe. Ende des Verfahrens: unabsehbar.
MacDonald umkurvt das Rondeel, eine kreisförmige Ausbuchtung der Alster, ein von Weiden und Villen umsäumter Teich. Es ist das Ziel vieler Liebespaare, die mit gemieteten Ruderbooten hierhin gleiten, manche bis unter die dichten Vorhänge
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