Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
fragt Karl. »Hast du das auch hier abgeholt?«
»Ein günstiger Tausch.« Stave erzählt, wie er an seinen neuen Besitz gekommen ist.
»Verzeihung«, unterbricht ihn sein Sohn und deutet auf seinen Begleiter: »Darf ich dir Manfred Loos vorstellen, ein Kommilitone.«
Kommilitone! Er ist eingeschrieben. Stave schüttelt dem hageren Mann die Hand, nachdem der geschickt eine Krücke von der Rechten in die Linke geworfen hat. Älter als Karl, denkt der Oberinspektor.
»Manfred ist Hochspringer«, sagt sein Sohn.
Stave starrt die beiden verwirrt an, nicht sicher, ob ihm eben ein übler Scherz gespielt worden ist. Loos lächelt. »Ich war vor dem Krieg Leichtathlet«, erklärt er. »1943 hat mir in Russland ein Flaksplitter den Unterschenkel abgeschnitten. Aber ich habe einfach weiter trainiert. Ich schaffe wieder 1,77 Meter.«
»Das ist nur achtzehn Zentimeter unter dem deutschen Rekord«, ergänzt Karl.
Stave fällt auf, dass auch sein Sohn sportlicher aussieht: Die Haut dunkler von der Sonne, die Haltung gerader, die Finger nicht länger nikotingelb. Ob die beiden sich beim Sport kennengelernt haben? Was weiß er eigentlich von Karl? Trotzdem fühlt er sich seltsam leicht. Selbst seine ewige Sorge, dass sein verkrüppelter Fuß anderen Menschen auffallen könnte, erscheint ihm auf einmal lächerlich. 1,77 Meter auf einem Bein! Der Kripo-Mann fragt sich, wie das möglich ist.
Er fasst sich ein Herz. »Was studierst du?« Mag Loos es seltsam finden, dass der eigene Vater nicht einmal das Fach des Sohnes kennt, ihm ist das nun auch gleichgültig.
»Geschichte und Philosophie«, antwortet Karl, rasch und stolz.
Stave erkennt, dass sein Sohn auf diese Frage gewartet hat. Erkennt, dass es gut war, sie gestellt zu haben. Dass er eine Art Test bestanden hat, dass er eine Tür geöffnet hat zu seinem Kind.
»Das ist wichtig«, erwidert er ehrfürchtig, weil ihm nichts Klügeres einfallen will.
»Von alten Zeiten und alten Denkern kann man einiges lernen«, sagt Karl. Es soll beiläufig klingen, doch Stave spürt, wie ernst es ihm ist.
Loos räuspert sich, packt seine Krücken wieder in beide Hände. »In fünf Minuten beginnt der Vortrag.«
Karl nickt. »Eine Einführung in den Buddhismus.«
Stave, eben noch beseelt, ist alarmiert. »Eine Sekte?«, fragt er erschrocken.
Da lachen ihn die beiden jungen Männer aus, aber freundlich. »Der burmesische Mönch Bhikkhu U. Thunanda besucht Hamburg, Vater, ein großer buddhistischer Gelehrter aus Rangun. Er macht eine Weltreise, um seine Gedanken zu verbreiten. Gleich hält er hier einen Vortrag über seine Lehre, die einzige Rede, die er in Hamburg halten wird. Ich will zuhören. Denn ich werde Philosoph, nicht Buddhist.« Er klopft ihm ermunternd auf die Schulter und stürmt danach die Treppe hoch. Loos, auf seinen Krücken, kaum langsamer hinterher.
Stave bleibt zurück, starrt auf das Ochsengespann, das inzwischen fast die ganze Wiese in einen aufgebrochenen Acker verwandelt hat, auf den Dammtorbahnhof jenseits davon, auf den Himmel, über den niedrige Wolken ziehen. Dieser kurze Klaps auf die Schulter. Er kann sich nicht daran erinnern, wann ihn sein Sohn das letzte Mal so freundschaftlich berührt hat.
Ein arbeitsloser Regisseur
Beinahe fühlt sich Stave, als machte er einen Ausflug, wie vor dem Krieg. Er hat ein wenig Zeit, also lenkt er sein Fahrrad zunächst nach Harvestehude, ein von den Engländern requiriertes Viertel: Gründerzeithäuser, gepflegte Straßen, Ruhe. Wenn der Regen nicht wäre, hätte der Oberinspektor vielleicht sogar einen übermütigen Spurt gewagt, doch er misstraut der einen Stempelbremse seines Gazelle-Rads. »Kackeschieber« haben sie solche Bremsen als Schüler genannt, weil deren Gummibelag den Dreck vom Reifen abraspelt – und leider auch das Profil des Radmantels, weshalb der Oberinspektor lieber nichts riskieren will.
Der nördlichste Zipfel der Außenalster ist wie ein großes »L« geformt; hier sind nur noch die unmittelbar am Ufer entlangführenden Straßen britisches Sperrgebiet. Er wendet, mit dem Fahrrad ist er in wenigen Minuten zurück an der Esplanade 6. Ein wuchtiger grau-roter Klotz von einem Verwaltungsgebäude an einer schicken Allee, der Sitz der britischen Zivilverwaltung.
Der Kripo-Mann fühlt sich etwas lächerlich und schäbig, als er dem wartenden britischen Posten vor dem Eingang mit einer Hand seinen Polizeiausweis präsentiert, während er mit der anderen den Lenkergriff des alten Rades
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