Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
der Weidenzweige. Die Kollegen von der Sitte machten Witze darüber und patrouillierten gerade deshalb gelegentlich das Ufer ab. Stave hätte in jungen Jahren auch gerne einmal eine romantische Bootstour mit Margarethe gemacht, doch fürchtete er, ein paar feixenden Krimsches in die Hände zu fallen.
Die Scheffelstraße: schmal, gediegen, Alsterblick. Alte Eichen und Buchen mit knotiger Rinde. So verlassen, dass das Rauschen von Regen und Wind unnatürlich laut wirkt. Eine schmale, aber elegante Villa zur rechten Seite, steile Treppe, zwei Geschosse, unübersehbar, weil an einem Mast die schwedische Flagge flappt, schwer vor Nässe. Als MacDonald den Motor abstellt, saugt Stave den Duft des Wohlstandes ein: feuchte Erde, Rosen, der süßliche Hauch des warmen Wassers von der Alster. Er denkt an Karl, der mit siebzehn für zwei Jahre nach Workuta ins Eis geschickt wurde, und daran, dass Männer wie Harlan ihre Villen nicht einmal für einen Tag aufgeben mussten. Er ist nur ein Zeuge, ermahnt er sich, nimm ihn nicht zu hart ran. Nur ein Zeuge.
Vor der schweren hölzernen Eingangstür türmen sich Briefe, Geschenke, mit schwedischen, britischen, amerikanischen, schweizerischen Briefmarken. Dazu mehrere Kränze mit schwarzen Schleifen, keine Namen darauf.
»Scheint so, dass wir nicht den günstigsten Moment für einen Besuch erwischt haben«, flüstert MacDonald, während er die Klingel drückt.
»Vielleicht ist Harlan ja tot«, erwidert der Kripo-Beamte.
»Würde Sie das freuen – oder ärgern, weil Sie Ihren Mann nicht mehr befragen können?«
»Sagen wir so: Am liebsten würde ich ihn auf dem Totenbett befragen.«
Der junge Lieutenant will antworten, als die Tür geräuschlos aufgezogen wird und eine blonde Frau vor ihnen steht: sinnliche Lippen, Himmelfahrtsnase, helle Augen. Kristina Söderbaum.
Stave hatte Hausmädchen oder Diener erwartet und starrt die Filmschauspielerin einen Moment lang fassungslos an, wie eine Fee aus dem Märchenland, die plötzlich in den Alltag hineinschwebt. MacDonald erholt sich schneller, grüßt mit lässiger Geste zum Mützenschirm, stellt sich und seinen Begleiter vor und deutet auf die Pakete und Kränze vor der Tür. »Sie haben Post bekommen.«
»Wie jeden Tag.« Die Stimme, die Stave aus Filmen kennt. Trotzdem irgendwie weicher. »Ich räume das gleich weg.«
»Sie haben einen Trauerfall?«
»Nein. Die Briefe und Pakete werden uns von Freunden meines Mannes gesandt. Oder manchmal auch von Leuten, die sich noch an meine Rollen erinnern. Die Kränze sind von Leuten, die uns den Tod wünschen. Ich weiß schon nicht mehr, wohin damit. Wir können sie ja schlecht vor der Tür liegen lassen.« Kristina Söderbaum seufzt, blickt die beiden Besucher an, als würde sie sich plötzlich erinnern, warum sie da sind, und bittet sie hinein. Sie wirkt noch bedrückter als wenige Augenblicke zuvor.
»Wir bleiben nicht lange«, beruhigt sie MacDonald.
Stave rempelt den Lieutenant unauffällig an. Das fehlt ihm noch, dass sich der junge Engländer in einen Filmstar verguckt.
»Wir haben ein paar Fragen an Ihren Mann«, ergänzt er vorsichtig.
»Ich bin sicher, dass er sie zu Ihrer Zufriedenheit beantworten wird. Wir haben inzwischen eine gewisse Erfahrung im Beantworten von Polizeifragen.«
Ein helles Zimmer. Tisch, Stühle, die Rahmen der an den Wänden hängenden Aquarelle aus Kiefernholz. »Eigentlich sind wir hier nur zu Gast«, erklärt Kristina Söderbaum, »bei schwedischen Freunden. Doch die sind die meiste Zeit verreist.«
»Es lebt sich ja momentan auch nicht so komfortabel in Hamburg«, erwidert MacDonald freundlich.
Die Schauspielerin blickt ihn irritiert an, unsicher, ob er Mitgefühl zeigt oder sie verspotten möchte. »Mein Mann wird jeden Augenblick kommen. Er liest unserem Kleinen noch vor.«
Stave erinnert sich vage daran, irgendwann von der Geburt eines zweiten Sohnes im Hause Harlan gelesen zu haben. Nach dem Krieg. Das Leben geht weiter. Seine Wut wächst.
Nach ein paar Minuten geht die Tür auf und der Oberinspektor hat zum zweiten Mal das Gefühl, einer Gestalt aus einer Legende leibhaftig gegenüberzustehen: Veit Harlan ist fast fünfzig Jahre alt, fleischig, wallendes Künstlerhaar, nun grau meliert, der in der Nazizeit bekannte und oft verspottete Spitzbart abrasiert, die Augen klar und aufmerksam hinter einer dunkel umrandeten Brille. Ein Mann, der jeden Raum füllt, den er betritt.
»Sind Sie wegen des Prozesses hier?« Eine Stimme, die gewohnt ist,
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