Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
fummelt mit der Rechten in der Hosentasche nach dem Schlüssel, da geht die Wohnungstür auf.
Karl.
»Dich kann man auswringen«, ruft sein Sohn.
»Es ist nur der Regen«, murmelt Stave, der vor seinem Sohn nicht zugeben will, wie erschöpft er ist. Er setzt sein Rad ab und schiebt es in den Flur. »Ich ziehe mich bloß rasch um. Du bleibst doch noch?« Er wagt es kaum, die Frage auszusprechen.
»Mal sehen. Hast du was in der Speisekammer? Ich habe ein paar Salate und Karotten im Kleingarten eingetauscht. Und die ersten Sauerkirschen.«
»Ich habe noch Kartoffeln, Brot und Fett und Ersatzkaffee«, ruft er durch die Badezimmertür.
»Meinst du, dass wir bald mehr zwischen die Zähne kriegen werden?«, fragt Karl eine halbe Stunde später, als sie am Küchentisch vor zwei Tellern sitzen, aus denen es verführerisch dampft.
»Es kann nur besser werden.«
»Das habe ich nach den Bombenangriffen schon gehört. Und als ich mit den Kameraden in Berlin gekämpft habe. Und im Lager in Workuta. Immer: ›Es kann nur besser werden.‹ Hat nie gestimmt. Es wurde immer nur noch schlimmer und schlimmer.«
Stave will seinen Sohn nicht entmutigen. Der ist doch gerade erst zwanzig Jahre alt, denkt er, wenn der nicht optimistisch ist, wer soll es dann sein? »Das neue Geld wird wieder etwas wert sein«, erwidert er und bemüht sich, zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlt.
Karl lacht kurz, schüttelt den Kopf. »Der berühmte Tag X. Vielleicht passiert gar nichts?«
»Das ist nicht nur eine Aktion der Engländer. Die Amerikaner machen mit. Die sind die eigentlichen Herrn im Haus. Wenn die etwas organisieren, dann wird das auch was.«
»Die Bombenangriffe haben sie jedenfalls gut organisiert.«
»Und die CARE-Pakete auch. Ohne die wären hier schon ein paar mehr Leute verhungert.«
Sein Sohn schüttelt nachdenklich den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte an eine gute Zukunft glauben«, murmelt er. »Glaubst du daran?«
Stave will zustimmen. Aber er will auch ehrlich sein. »Ich hoffe auf eine gute Zukunft«, antwortet er behutsam. »Ich arbeite darauf hin. Dass alles besser wird, meine ich. Was bleibt mir sonst übrig?«
»Der Sprung aus dem Fenster.«
»Wenn das wirklich deine Meinung wäre, dass es keine Hoffnung mehr gibt, dann hättest du die zwei Jahre in Workuta nicht überlebt.«
Karl blickt ihn überrascht an, lächelt anerkennend, schnippt mit den Fingern. »Jetzt hast du mich in die Ecke getrieben. Wird wohl was Wahres dran sein.«
»Und du bist Student«, entfährt es seinem Vater stolz.
»Alte Geschichte. Irgendjemand muss dem ganzen Schlamassel doch auf den Grund gehen. Ich meine: wirklich auf den Grund.«
»Zwei Jahrtausende zurück?«
Er zuckt mit den Achseln. »Irgendeine Ursache muss es ja dafür geben. Vielleicht liegt es an den alten Römern, die sich Europa unterworfen haben? Oder am Christentum? Die Nazis waren jedenfalls nicht die Ersten, die auf die Idee gekommen sind, den Kontinent zu erobern. Und auch nicht die Ersten, die unbedingt jeden Juden erschlagen wollten, der ihnen in die Finger fiel. Das reicht weiter zurück.«
»Was nützt es, die Ursachen in ferner Vergangenheit zu suchen?«
»Dann passiert uns so etwas vielleicht nicht noch einmal.«
Stave lehnt sich zurück, ehrlich überrascht. So hat er das noch nie gesehen. Geschichte war für ihn immer die Welt von gestern, nicht die von morgen. Da ist doch Optimismus bei Karl, hofft er.
»Eigentlich habe ich mich hauptsächlich deshalb bei dir zum Abendessen eingeladen, weil du ein Radio hast«, sagt sein Sohn nun und blickt auf seine alte Armbanduhr. Wo hat er die denn her, fragt sich sein Vater. Wohl gegen Tabak eingetauscht.
»Der Bürgermeister soll gleich sprechen. Dachte mir, dass das interessant werden könnte.«
Stave steht auf und schaltet das alte Gerät ein. Er hofft, dass er für diesen Monat noch genügend Strom übrig hat, um die ganze Sendung zu hören. Sicherheitshalber knipst er die Deckenlampe mit der einen noch intakten Glühbirne aus. Das sanfte gelbe Glühen der Röhren flutet durch den Raum. Knistern und Rauschen, während das Radio warm wird. Dann eine Stimme. NWDR.
Sie lauschen Bürgermeister Max Brauer. Ruhig, besonnen, zuversichtlich: »Das deutsche Volk wird auf Jahre hinaus arm sein und sich keinen besonderen Luxus leisten können. Aber Armut schändet nicht, und vor allem schreckt sie uns nicht, wenn nur alle die anständigen deutschen Männer und Frauen für ihre Arbeit wieder ehrliches Geld
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