Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Gauleiter und eigentliche Herrscher Hamburgs in der braunen Zeit, wurde in einem recht unspektakulären Unfall verletzt. Das hatte ausgereicht, um sein Verfahren einzustellen. Er denkt auch an den ehemaligen Bürgermeister Krogmann, den er vor kurzem im Restaurant gesehen hat. An den ehemaligen Gestapo-Agenten Greiner, der frei herumläuft. An Annas Mann, den Diplomaten im Judenreferat, der sich in einem Kloster versteckt und auf dem Weg nach Südamerika ist, zu einem neuen Leben.
»Nicht alle Nazis kommen so glimpflich davon«, erwidert Stave vorsichtig. »Wer in einem Ministerium gearbeitet hat, der wird verfolgt.«
»Zum Beispiel im Außenministerium?«, fragt Ehrlich und lächelt fein. »Ich wusste, dass Sie irgendwann auf diese Spur stoßen werden.«
»Klaus von Gudow.«
»Ein Mann der Vergangenheit.«
»Seit wann wissen Sie es?«
»Nachdem ich Frau von Veckinhausen das erste Mal begegnet bin und von ihrer Kunstexpertise beeindruckt war, habe ich gewisse Erkundigungen eingezogen.«
»Diskret?«
»Sehr diskret, über englische Freunde. Keine deutschen Stellen.«
»Weiß Anna von Ihren Erkundigungen?«
»Nein.«
»Fahnden Sie nach Ihrem Mann?«
»Ja.«
»Nutzen Sie Anna als Lockvogel?«
»Ja. Aber der Vogel lockt nicht.«
Stave starrt Ehrlich an. »Annas Auftrag, die gestohlene Kunst zu suchen, war nur ein Vorwand«, raunt er.
Der Staatsanwalt schüttelt energisch den Kopf. »Nennen wir es lieber einen angenehmen Nebenaspekt. Sie war ja auch erfolgreich.« Er deutet auf die Grafik an der Wand. »Ein paar Werke hat Frau von Veckinhausen schon aufgespürt.«
»Aber eigentlich gaben Sie ihr den Auftrag, um sie im Auge zu behalten.«
»Falls Ihr Mann Kontakt zu ihr aufnimmt, ja.«
Der Kripo-Beamte denkt an den Ehering aus dem Juweliergeschäft und fragt sich sorgenvoll, ob sein Gegenüber davon weiß.
»Klaus von Gudow ist irgendwo in Italien«, fährt Ehrlich fort. »Noch. Haben Sie von der ›Rattenlinie‹ gehört? Fluchtrouten aus Deutschland über Österreich bis nach Italien. Organisiert von alten Parteigenossen und dem einen oder anderen der Sache sehr aufgeschlossen gegenüberstehenden Geistlichen. Es soll Bischöfe geben, für die sechs Millionen ermordete Juden keine Sünde sind, sondern so eine Art gerechte Gottesstrafe.«
»Anna hat nichts mehr mit ihrem Mann zu tun.«
»Das habe ich bedauerlicherweise inzwischen auch festgestellt. Keine Briefe. Keine Reisen. Keine heimlichen Treffen. Sie hat sich von ihrem Gatten losgesagt. Ein neues Leben. Eine neue Liebe.« Er blickt Stave aufmerksam an, müde Augen hinter dicken Brillengläsern.
»Was nun?«, fragt Stave und wagt kaum zu atmen.
»Ich habe die Fahndung nach Klaus von Gudow an die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main abgegeben. Amerikanische Zone. Da ich annehme, dass jener Herr nicht in Italien bleiben wird, sondern Reisepläne nach Südamerika hegt, werden die Kollegen dort besser mit deren Autoritäten kooperieren können. Vielleicht erwischen sie ihn doch noch, bevor er in Argentinien oder Paraguay verschwindet.«
»Argentinien. Weiß Anna von alldem?«
»Kein Wort.«
Stave schließt die Augen. Er fühlt sich, als würde ihm ein mit Wackersteinen gefüllter Rucksack von den Schultern genommen.
»Viel Glück«, murmelt Ehrlich und erhebt sich. »Mit Frau von Veckinhausen.«
»Ich werde mich bemühen, es nicht zu vermasseln«, antwortet er und schüttelt dem Staatsanwalt die Hand.
Stave verzichtet darauf, noch einmal in der Zentrale hereinzuschauen, es wird niemand da sein, im Chefamt S schon gar nicht. Morgen ist der Tag X. Der Oberinspektor fragt sich, ob übermorgen alles anders sein wird.
Er tritt gegen den feuchten Nordwind in die Pedale. Vor der Ahrensburger Straße 93 schultert er sein Rad. Flasch, der aus einem Zimmer im Erdgeschoss auf den Bürgersteig blickt, schaut ihn überrascht an, macht dann eine Handbewegung, von der nicht ganz klar ist, ob er damit Bewunderung oder Mitleid signalisieren will. Stave nickt und drückt die schwere Eingangstür auf. Vier Stockwerke. Egal. Wenn er sein Fahrrad morgen noch benutzen will, dann muss er es wohl oder übel bis in seine Wohnung hinaufschleppen – vor seinem Kellerverschlag hängt bloß eine Tür aus einigen zusammengenagelten Brettern.
Er ist außer Atem, als er endlich den Treppenabsatz vor seiner Wohnungstür erreicht. Sein linkes Fußgelenk schmerzt, seine Schulter brennt vom Stahlrohr des Rahmens, das bei jedem Schritt scheuert, die Brustwunde pocht. Er
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