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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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daran, daß ich am Mittwoch heimfahre. Ich bin eine Niete.«
»Machst du dir gar keine Sorgen über deine Zukunft, Junge?«
»Doch, Sorgen mache ich mir schon. Das sicher. Doch, natürlich.« Ich dachte einen Augenblick
    darüber nach. »Aber nicht übermäßig, glaube ich.«
»Das wird noch kommen, Junge«, sagte Spencer. »Das wird noch kommen. Wenn es zu spät
    ist.«
Ich hörte das nicht gern. Es klang, als ob ich tot wäre oder ich weiß nicht was. Es war
    deprimierend.
»Ja, wahrscheinlich«, sagte ich.
»Ich würde dir gern etwas Vernunft beibringen, Junge. Ich versuche nur, dir zu helfen. Ich
    versuche, dir wirklich zu helfen.«
Das stimmte tatsächlich. Man sah es ihm an. Aber wir standen eben auf verschiedenen Seiten.
    »Ich weiß, daß Sie das wollen, Sir«, sagte ich. »Vielen Dank. Im Ernst. Ich weiß es auch zu
    schätzen, ganz im Ernst.« Dann stand ich vom Bett auf. Ich hätte um mein Leben keine zehn
    Minuten länger dort sitzen können.
»Leider muß ich jetzt gehen. Ich muß noch einen Haufen Zeug aus der Turnhalle holen, bevor ich
    heimfahre. Wirklich.« Er schaute zu mir hinauf und fing wieder an zu nicken, mit todernstem
    Gesicht. Plötzlich tat er mir fürchterlich leid. Aber ich konnte einfach nicht mehr länger
    dortbleiben; wir standen auf so entgegengesetzten Seiten, und er verfehlte jedesmal das Bett,
    wenn er etwas werfen wollte, und unter seinem elenden alten Morgenrock sah man seine Brust, und
    das ganze Zimmer roch nach Grippe und Vicks' Nasentropfen. »Machen Sie sich keine Sorgen um
    mich, Sir«, sagte ich. »Wirklich nicht. Ich komme schon weiter. Ich mache jetzt einfach so eine
    Phase durch. Jedermann macht doch Phasen durch, nicht?«
»Ich weiß nicht, Junge. Ich weiß nicht.«
Ich kann es nicht leiden, wenn jemand auf diese Art antwortet. »Doch, sicher. Ganz sicher geht
    das allen so«, sagte ich. »Ich meine es ganz im Ernst, Sir. Bitte machen Sie sich keine Sorgen
    um mich.« Ich legte ihm sozusagen die Hand auf die Schulter. »O. K.?« sagte ich.
»Möchtest du nicht eine Tasse Schokolade, bevor du gehst? Mrs. Spencer würde gern -«
»Ich würde gern bleiben, wirklich, aber ich muß jetzt gehen. Ich muß sofort in die Turnhalle.
    Aber vielen Dank. Vielen Dank, Sir.«
Dann gaben wir uns die Hand und so weiter, der übliche Mist.
Aber es machte mich verdammt traurig.
»Ich werde Ihnen schreiben, Sir. Pflegen Sie jetzt Ihre Grippe.«
»Auf Wiedersehen, Junge.«
Als ich die Tür hinter mir zugemacht hatte und zum Wohnzimmer zurückging, rief er mir etwas
    nach, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich bin ziemlich sicher, daß er mir »Viel Glück!«
    nachschrie.
Hoffentlich nicht. Hoffentlich täusche ich mich. Ich würde nie jemandem »Viel Glück!«
    nachschreien. Es klingt fürchterlich, wenn man richtig darüber nachdenkt.

3. Kapitel
    Ich bin der größte Lügner, den man sich denken kann.
Schrecklich. Sogar, wenn ich unterwegs bin, um mir ein Magazin zu kaufen, und mich jemand
    fragt, wohin ich gehe, bin ich imstande, zu antworten, ich ginge in die Oper.
    Fürchterlich.
Als ich Spencer sagte, ich müßte in der Turnhalle meine Habseligkeiten holen, war das auch eine
    reine Lüge. Ich habe meine verdammten Sachen überhaupt nie in der Turnhalle aufbewahrt.
In Pencey wohnte ich im Ossenburger-Gedächtnis-Flügel, wo die neuen Schlafräume sind. Dieser
    Flügel war nur für Junioren und Senioren. Ich war ein Junior und mein Zimmergenosse ein
    Senior.
Der Flügel war nach einem ehemaligen Schüler namens Ossenburger benannt. Er wurde steinreich,
    nachdem er von Pencey fortging. Er gründete ein Begräbnisinstitut - mit Filialen in ganz
    Amerika -, das den Leuten ermöglichte, ihre Angehörigen für ungefähr fünf Dollar pro Stück zu
    bestatten.
Man muß diesen Ossenburger gesehen haben, um sich das vorzustellen. Vermutlich steckt er sie in
    einen Sack und wirft sie ins Wasser. Immerhin stiftete er Pencey also einen Haufen Geld, und
    dafür wurde unser Flügel nach ihm benannt. Zum ersten Fußballmatch des Jahres erschien er in
    einem kolossalen Cadillac, und wir mußten auf der Tribüne alle aufstehen und Hurra brüllen. Am
    nächsten Morgen hielt er dann in der Kapelle eine ungefähr zehnstündige Rede. Er begann mit
    ungefähr fünfzig blöden Witzen, um uns zu zeigen, was für ein rechter Kerl er sei.
    Überwältigend.
Dann erzählte er uns, daß er sich nie schäme, wenn er in Schwierigkeiten oder so stecke, sich
    hinzuknien und zu Gott zu beten. Er sagte, wir sollten

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