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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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dessen Belesenheit bemerkenswert sei und der aus erster Hand sehr gut über Curwens sonderbare Einkäufe Bescheid wisse, sowie Kapitän Abraham Whipple, ein Kaperer von phänomenaler Kühnheit, auf den man als Anführer bei allen aktiven Unternehmungen zählen konnte, die sich als nötig erweisen mochten. Diese Männer könne man, falls sie grundsätzlich geneigt sein würden, schließlich vielleicht dazu bringen, gemeinschaftliche Überlegungen anzustellen; und von ihrer Entscheidung würde es abhängen, ob man den Gouverneur der Kolonie, Joseph Wanton aus Newport, informieren würde, bevor etwas unternommen würde.
    Der Erfolg der Mission von Kapitän Mathewson übertraf seine kühnsten Hoffnungen; denn obwohl er feststellen mußte, daß einer oder zwei der auserwählten Mitwisser im Hinblick auf die übernatürliche Seite von Weedens Geschichte etwas skeptisch waren, hielt es doch jeder einzelne für nötig, zu irgendwelchen geheimen und gut abgestimmten Taten zu schreiten. Curwen, soviel war klar, stellte eine vage potentielle Bedrohung für das Wohlergehen der Stadt und der Kolonie dar und mußte um jeden Preis ausgeschaltet werden. Gegen Ende Dezember 1770 versammelte sich eine Gruppe prominenter Bürger im Hause von Stephen Hopkins und diskutierte über vorläufige Maßnahmen. Weedens Aufzeichnungen, die er Kapitän Mathewson gegeben hatte, wurden sorgfältig studiert; und er und Smith wurden zitiert, um Einzelheiten zu bestätigen. Ein Gefühl, das nicht weit von Angst entfernt war, beschlich die ganze Versammlung, bevor noch das Treffen beendet war, doch in dieser Angst lag auch eine grimmige Entschlossenheit, die am besten durch Kapitän Whipples barsche und lautstarke Profanität gekennzeichnet wurde. Den Gouverneur würde man nicht unterrichten, denn mehr als der normale Weg des Gesetzes schien notwendig. Da er offensichtlich über geheime Kräfte unbekannten Ausmaßes verfügte, war Curwen kein Mann, den man gefahrlos hätte davor warnen können, noch länger in der Stadt zu bleiben. Unsagbare Repressalien hätten die Folge sein können, und selbst wenn die finstre Kreatur sich gefügt hätte, wäre dies nur einer Verlagerung dieser unreinen Bürde an einen anderen Ort gleichgekommen. Man lebte in einer gesetzlosen Zeit, und die Männer, die jahrelang die Zollbeamten des Königs verhöhnt hatten, würden auch vor schlimmeren Dingen nicht zurückschrecken, wenn die Pflicht es gebot. Curwen mußte auf seinem Bauernhof an der Pawtuxet Road durch ein großes Aufgebot erfahrener Kaperer überrascht werden und eine einzige, entscheidende Chance bekommen, alles zu erklären. Erwies er sich als Verrückter, der sich mit imaginären Gesprächen mit verstellter Stimme amüsierte, so würde er, wie es sich gehörte, in Verwahrung genommen. Sollten aber ernstere Dinge ans Licht kommen und die unterirdischen Schrecknisse wirklich existieren, so mußte er mit all seinen Helfershelfern sterben. Das konnte in aller Stille geschehen, sogar ohne daß man seine Witwe und deren Vater davon unterrichtete, wie es dazu gekommen war.
    Während man diese ernsten Maßnahmen erwog, ereignete sich in der Stadt ein so gräßlicher und unerklärlicher Vorfall, daß eine Zeitlang in der ganzen Gegend kaum über etwas anderes gesprochen wurde. In einer mondhellen Januarnacht, als die Erde unter einer tiefen Schneedecke lag, gellte über den Fluß und den Hügel hinauf eine schreckliche Folge von Schreien, die hinter jedem Fenster schläfrige Gesichter auftauchen ließ; und die Leute, die in der Nähe von Weybosset Point wohnten, sahen ein großes weißes Ding, das sich wie rasend einen Weg über den schlecht geräumten Platz vor dem »Türkenkopf« bahnte. In der Ferne ließ sich Hundegebell vernehmen, doch es legte sich, als der Lärm der aufgestörten Stadt hörbar wurde. Gruppen von Männern mit Laternen und Musketen eilten hinaus, um zu sehen, was es gäbe, aber ihre Suche blieb ergebnislos. Am nächsten Morgen aber fand man einen riesigen, muskulösen Leichnam splitternackt auf dem Eisstau rund um die Kais der Großen Brücke, dort wo der Lange Kai sich neben Abbotts Brennerei erstreckte, und die Identität dieses Leichnams war sogleich Gegenstand endloser Spekulationen und Gerüchte. Es waren nicht so sehr die jüngeren, sondern vielmehr die alten Leute, die flüsternd darüber sprachen, denn nur bei den Patriarchen weckte dieses starre Gesicht mit den vor Entsetzen geweiteten Augen eine vage Erinnerung. Zitternd standen sie

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