Der Fall Charles Dexter Ward
einfache orthodoxe Gläubige, denn hätten sie über eine verfeinerte Phantasie und komplexe Geistesgaben verfügt, so wäre es ihnen bei Gott schlimm ergangen. Präsident Manning litt am meisten, aber selbst er befreite sich von den dunkelsten Schatten und erstickte seine Erinnerungen im Gebet. Jeder dieser führenden Männer hatte in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle zu spielen, und sie konnten vielleicht von Glück sagen, daß dem so war. Kaum mehr als zwölf Monate danach führte Kapitän Whipple den Pöbelhaufen an, der das Zollschiff Gaspee in Brandsteckte, und in dieser ruchlosen Tat könnte man den Versuch erblicken, bedrückende Erinnerungen auszulöschen.
Der Witwe Joseph Curwens wurde ein versiegelter Bleisarg von merkwürdiger Form übergeben, der offenbar schon bereitgestanden hatte, als man ihn brauchte. In diesem Sarg, so sagte man ihr, läge der Leichnam ihres Mannes. Er sei, so wurde erklärt, in einem Kampf mit Zöllnern getötet worden, über den aus politischen Rücksichten keine weiteren Einzelheiten verlauten dürften. Mehr als dies hat nie ein Sterblicher über den Tod Joseph Curwens verraten, und Charles Ward fand nur einen einzigen Hinweis, auf dem er eine Theorie aufbauen konnte. Auch dieser Hinweis war undeutlich genug - eine zittrige Unterstreichung unter einer Passage in Jedediah Ornes konfisziertem Brief an Joseph Curwen, teilweise abgeschrieben in Ezra Weedens Handschrift. Die Abschrift fand sich im Besitz von Smith' Nachkommen; und wir müssen selbst entscheiden, ob Weeden sie seinem Gehilfen gegeben hat, nachdem alles vorüber war, sozusagen als stummen Hinweis auf die abnormen Dinge, die vorgefallen waren, oder ob, und das ist das Wahrscheinlichere, Smith die Abschrift schon vorher besessen und die Unterstreichung selbst vorgenommen hatte, nachdem er durch kluges Kombinieren und geschickte Fragen doch das eine oder aridere aus seinem Freund herausbekommen hatte. Bei dem unterstrichenen Absatz handelte es sich lediglich um folgende Zeilen:
»Ich sage Euch abermals, erwecket Keinen, welchen Ihr nicht auszutreiben vermöget; will sagen. Keinen, welcher etwas gegen Euch erwecken kann, wogegen Eure mächtigste Zauberey nichts ausrichten könnte.«
Aufgrund dieser Passage sowie der Überlegung, welche letzten unnennbaren Bundesgenossen ein geschlagener Mann in der höchsten Not anrufen könnte, mag Charles Ward sich wohl gefragt haben, ob irgendein Bürger von Providence Joseph Curwen getötet hatte.
Die vorsätzliche Tilgung jedes Andenkens an den Toten aus dem Leben und den Annalen von Providence wurde durch den Einfluß der prominenten Bürger, die an dem Überfall teilgenommen hatten, sehr erleichtert. Sie hatten zunächst nicht vorgehabt, so gründliche Arbeit zu leisten, und hatten die Witwe, deren Vater und das Kind im unklaren über die wahren Verhältnisse gelassen; aber Kapitän Tillinghast war ein kluger Kopf und brachte bald so viel in Erfahrung, daß er zutiefst entsetzt war und seine Tochter und Enkeltochter veranlaßte, ihren Namen zu ändern, die Bibliothek und die übriggebliebenen Schriftstücke zu verbrennen und die Inschrift auf dem schiefernen Grabstein Joseph Curwens tilgen zu lassen. Er kannte den Kapitän Whipple gut und entlockte dem barschen Seebären wahrscheinlich mehr Hinweise auf das Ende des fluchbeladenen Hexenmeisters, als je ein anderer in Erfahrung bringen konnte.
Von dieser Zeit an wurde das Schweigen über Curwen immer eisiger und erstreckte sich schließlich nach allgemeiner Übereinkunft sogar auf die städtischen Chroniken und die Archive der Gazette. Man kann es der Art nach nur damit vergleichen, wie Oscar Wildes Name ein Jahrzehnt lang totgeschwiegen wurde, nachdem er in Ungnade gefallen war, und dem Umfang nach nur mit dem Schicksal jenes sündigen Königs von Runagur in Lord Dunsanys Erzählung, der nach dem Willen der Götter nicht nur aufhören mußte zu existieren, sondern den es auch nie gegeben haben durfte.
Mrs. Tillinghast, wie die Witwe sich nach 1772 nannte, verkaufte das Haus in Olney Court und wohnte bis zu ihrem Tode im Jahre 1817 im Haus ihres Vaters an der Power's Lane. Den Bauernhof bei Pawtuxet, von jeder lebenden Seele gemieden, ließ man vermodern, und er schien im Laufe der Jahre mit unerklärlicher Schnelligkeit zu verfallen. Im Jahre 1780 standen nur noch die Stein- und Ziegelmauern, und bis zur Jahrhundertwende waren selbst diese zu formlosen Trümmerhaufen' eingestürzt. Niemand wagte es, das dichte Gestrüpp
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