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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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verschwand er aus der Stadt, doch dreißig Jahre später tauchte ein Mann auf, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten schien, nach eigenen Angaben sein Sohn war und Anspruch auf die Besitztümer seines Vaters erhob. Man entsprach seinem Begehren aufgrund von Dokumenten in Simon Ornes bekannter Handschrift, und Jedidiah Orne lebte noch bis 1771 in Salem; in diesem Jahr erfuhr man aus Briefen von Bürgern der Stadt Providence an Hochwürden Thomas Barnard und andere, er sei in aller Stille in unbekannte Gegenden verzogen.
    Im Essex-Institut, im Gerichtsarchiv und im Handelsregister fanden sich Dokumente über all diese sonderbaren Angelegenheiten, darunter harmlose Geschäftsurkunden wie Grundstücks-und allgemeine Kaufverträge, aber auch geheime Schriftstücke, die zu allerlei Spekulationen Anlaß gaben. In den Protokollen der Hexenprozesse waren vier oder fünf unmißverständliche Anspielungen enthalten; so hatte zum Beispiel ein Hepzibah Lawson am zehnten Juli 1692 vor dem Gericht von Oyer und Terminen unter Richter Hathorne beeidet, daß »vierzig Hexen und Schwarze Männer regelmäßig in den Wäldern hinter Mr. Hutchinsons Haus zusammenkommen«, und ein gewisser Amity How erklärte in einer Verhandlung am achten August vor Richter Gedney, »Mr. G. B. (George Burroughs) hat jenes Nachts Bridget S., Jonathan A.,  Simon 0, Deliverance W., Joseph C, Susan P., Mehitable C. und Deborah B. mit dem Teufel seinem Zeichen gebranntmarket«. Weiterhin war da ein Katalog von Hutchinsons unheimlicher Bibliothek, wie sie nach seinem Verschwinden vorgefunden worden war, sowie ein unvollendetes Manuskript in seiner Handschrift, abgefaßt in einer Geheimschrift, die niemand lesen konnte. Ward ließ sich eine Photokopie von diesem Manuskript anfertigen und begann, nebenbei an der Entzifferung der Schriftzeichen zu arbeiten, sobald er die Kopie in Händen hatte. Vom folgenden August an bemühte er sich intensiv und fieberhaft um die Dechiffrierung der Geheimschrift, und es besteht Grund dafür, aus seinen Aussagen und seinem Verhalten zu schließen, daß er noch vor Oktober oder November den Schlüssel fand. Er verriet jedoch nie, ob er Erfolg gehabt hatte oder nicht.
    Von größtem unmittelbarem Interesse war jedoch das Material über Orne. Ward brauchte nur kurze Zeit, um aufgrund von Schriftvergleichen etwas nachzuweisen, was er schon anhand des Textes des Briefes an Curwen für sicher gehalten hatte, nämlich daß Simon Orne und sein vermeintlicher Sohn ein und dieselbe Person gewesen seien. Wie Orne seinem Briefpartner anvertraut hatte, war es ziemlich unsicher, in Salem zu lange zu leben, weshalb er auf den Ausweg verfiel, sich dreißig Jahre im Ausland aufzuhalten und als Vertreter einer neuen Generation zurückzukehren, um wieder Anspruch auf seinen Grund und Boden zu erheben. Orne hatte offenbar vorsichtshalber den größten Teil seiner Korrespondenz vernichtet, aber die Bürger, die im Jahre 1771 zur Tat schritten, fanden und bewahrten ein paar Briefe, die ihnen viel zu denken gaben. Da waren kryptische Formeln und Diagramme in seiner und anderen Handschriften, die Ward jetzt entweder kopierte oder photographieren ließ, sowie ein in höchstem Maße mysteriöser Brief in einer Schrift, die der Forscher anhand von Eintragungen im Handelsregister eindeutig als Joseph Curwens Handschrift identifizierte.
    Obwohl Curwens Brief keine Jahresangabe trug, war es offensichtlich nicht der, auf den Orne jene konfiszierte Nachricht als Antwort abgeschickt hatte. Aufgrund seines Inhalts glaubte Ward, er könne nicht viel später als 1750 entstanden sein. Es mag nicht unangebracht sein, den Text hier wörtlich wiederzugeben, als Beispiel für den Stil eines Mannes, dessen Lebensgeschichte so dunkel und schrecklich war. Der Empfänger wird als »Simon« bezeichnet, doch das Wort war durchgestrichen worden - ob von Curwen oder Orne, wußte Ward nicht zu sagen.
    Providence, l. Mai Bruder:
    Mein alter Freund, geziemenden Respeckt und ehrfürchtige Wünsche Ihm, welchem wir zu Seinem ewigen Ruhme dienen. Ich bin soeben auf jenes gestoßen, was Ihr wissen müßtet, bezüglich jener letzten und äußersten Angelegenheit, und was im Hinblick darauf zu thun sey. Ich bin nicht in der Lage, Eurem Rathe zu folgen, in Ansehen meines hohen Alters wegzugehen, denn in Providence pfleget man ungewöhnliche Dinge nicht mit derselbigen Schärfte zu verfolgen und vor Gericht zu stellen wie andernorts. Ich bin mit meinen Schiffen und Waren

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