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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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hat ihm geraten, einen längeren Urlaub zu machen und in Zukunft Fälle von Geistesgestörtheit nicht mehr zu übernehmen. Doch Mr. Ward weiß, daß der alte Doktor die Wahrheit, eine schreckliche Wahrheit sagt.
    Denn sah er nicht mit eigenen Augen die unheimliche Öffnung im Keller des Bungalows? Und schickte Willett ihn an jenem furchtbaren Vormittag nicht nach Hause, weil Übelheit ihn übermannt hatte? Rief er nicht an jenem Abend vergeblich den Doktor an, und ebenso am folgenden Tag, und fuhr er nicht selbst tags darauf gegen Mittag zum Bungalow hinaus, und fand er dort nicht seinen Freund in einem Bett im Parterre vor, bewußtlos, aber unversehrt? Willett hatte unregelmäßig geatmet und langsam seine Augen aufgeschlagen, als Mr. Ward ihm ein bißchen Brandy einflößte, den er aus dem Auto geholt hatte. Dann schauderte er und schrie, und rief aus »Dieser Bart... diese Augen... mein Gott, wer sind Sie? «Fürwahr eine sonderbare Begrüßung für einen gutgekleideten, blauäugigen, glattrasierten Gentleman, den er von Jugend auf kannte.
    In der hellen Mittagssonne wies der Bungalow gegenüber dem Vortag keine Veränderungen auf. Abgesehen von ein paar Flekken und abgescheuerten Stellen an den Knien, waren Willetts Kleider nicht in Unordnung geraten, und nur ein schwacher chemischer Geruch erinnerte Mr. Ward daran, wie sein Sohn an dem Tag gerochen hatte, als man ihn in die Heilanstalt eingewiesen hatte. Die Taschenlampe des Doktors war verschwunden, aber sein Koffer war noch da, genauso leer, wie er ihn hergebracht hatte. Bevor er mit seiner Erzählung begann, stolperte Willett erst einmal benommen und offenbar mit ungeheurer Willensanstrengung in den Keller hinunter und rüttelte an der schicksalhaften Plattform vor den Zubern. Doch sie gab nicht nach. Er ging zu seinem Werkzeugkasten hinüber, der noch dort stand, wo er ihn abgestellt hatte, holte einen Meißel hervor, und hebelte die kräftigen Bohlen eine nach der anderen ab. Darunter war noch immer der glatte Beton zu sehen, aber keine Spur von einer Öffnung. Diesmal tat sich nichts gähnend auf, wovon dem erstaunten Vater hätte übel werden können, der dem Doktor die Treppen hinab gefolgt war; nichts als der nackte Beton unter den Bohlen - kein übelriechender Schacht, keine Welt unterirdischer Schrecknisse, keine Geheimbibliothek, keine Curwen-Papiere, keine nachtmahrhaften Gruben voller Gestank und Geheul, kein Laboratorium, keine Regale, keine gemeißelten Formeln, nein... Dr. Willett wurde blaß und faßte den Jüngeren am Arm. »Gestern«, fragte er leise, »haben Sie da hier etwas gesehen... und gerochen?« Und als Mr. Ward, auch er starr vor Angst und Verwunderung, die Kraft fand, zu nicken, stieß der Arzt einen Seufzer aus, der beinahe wie ein Stöhnen klang, und nickte seinerseits. »Dann erzähle ich Ihnen alles«, sagte er.
    Sie begaben sich in das sonnigste Zimmer, das sie oben finden konnten, und der Doktor erzählte eine Stunde lang dem verwunderten Vater mit gesenkter Stimme seine schreckliche Geschichte. Von dem Augenblick an, da jene Gestalt sich aus dem grünlich-schwarzen Rauch gelöst hatte, der dem griechischenBecher entstiegen war, gab es nichts mehr zu erzählen, und Willett war zu müde, um sich zu fragen, was wirklich geschehen war. Beide Männer schüttelten immer wieder resigniert und verwundert den Kopf, und einmal wagte Mr. Ward einen schüchternen Vorschlag zu machen: »Meinen Sie, es würde einen Sinn haben zu graben?« Der Doktor schwieg, denn es schien kaum menschenmöglich, eine solche Frage zu beantworten, zu einem Zeitpunkt, da Mächte aus unbekannten Sphären so weit auf diese Seite des großen Abgrunds vorgedrungen waren. Noch einmal fragte Mr. Ward: »Aber wohin ging es? Es hat Sie hierher gebracht, das wissen Sie doch, und hat irgendwie den Zugang verschlossen.« Aber Willett antwortete wieder nur mit Schweigen.
    Trotz allem war aber die Geschichte damit nicht zu Ende. Als nämlich Dr. Willett sein Taschentuch hervorholen wollte, bevor er sich erhob, um zu gehen, fand er in seiner Tasche zwischen den Kerzen und Zündhölzern, die er in der unzugänglich gewordenen Krypta an sich genommen hatte, ein Stück Papier, das er nicht selber eingesteckt hatte. Es war ein ganz normaler Zettel, offenbar von dem billigen Block in jener Schreckenskammer irgendwo unter der Erde abgerissen, und mit einem ganz gewöhnlichen Bleistift beschrieben -zweifellos dem, der neben dem Block gelegen hatte. Er war sehr achtlos gefaltet

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