Ordnungszahl 120
1.
»Was verstehen Sie unter dem Begriff ›adiabarisch-isentropische Entspannung‹? Erklären Sie mir an Hand von Tabelle fünfzehn die Dissoziationskonstante des Wasserstoffs und seine Verwendbarkeit als Arbeitsmedium in einem durch Kernenergie aufgeheizten Raketentriebwerk. Ich lege besonderen Wert auf die einwandfreie Klarstellung der theoretischen Ausströmgeschwindigkeiten (Wath) als Funktion der Aufheiztemperatur (Ti) sowie des Entspannungsverhältnisses (Pi:Pa) für Wasserstoff. Beachten Sie dabei, daß Sie Wasserstoff als zweiatomiges, dissoziierendes Gas rechnerisch wie Sauerstoff zu behandeln haben. Weshalb haben Sie bei dem Arbeitsmedium Wasserstoff besonders hohe Ausströmgeschwindigkeiten zu erwarten? Bitte Vorteile und Nachteile erwähnen. Beginnen Sie mit der Klarstellung der Vorteile, Captain.«
Dr. Dr. Tayne lächelte freundlich. Seine hellblauen Augen blitzten hinter den Brillengläsern. Die Hände spielten mit einem Dauerkugelschreiber; doch diese sich ständig wiederholende Bewegung war nicht der einzige Grund für meine Nervosität.
Dr. Dr. Tayne gehörte zu den Wissenschaftlern, die den Teufel in sich hatten. Das war wenigstens unsere Meinung, obwohl wir zugeben mußten, daß Tayne ein Könner ersten Ranges war.
Während er mich auffordernd anblickte, mußte ich daran denken, daß man als Schatten der »Geheimen-Wissenschaftlichen-Abwehr« nur zwei Möglichkeiten hatte, dem wissenschaftlichen Schulungsdrill für einige Zeit zu entgehen. Man mußte tot sein – oder eine Verletzung davongetragen haben, mit der sich ein Urlaubsantrag begründen ließ.
Ich war weder eine Leiche, noch hatte ich eine schwere Verwundung erlitten. Die Strahlungsdosis, die ich vor etwa vier Wochen im Verlauf meines letzten Einsatzes aufgenommen hatte, war längst wieder ausgeheilt. Infolgedessen galt ich für den Chef der GWA, General Arnold G. Reling, als gesund, einsatzfähig und obendrein als schulungsbedürftig.
Dr. Dr. Tayne hüstelte bedeutsam, ehe er sichtlich genießerisch das Examen fortsetzte.
»Nun, Captain Konnat, weshalb eignet sich Wasserstoff besonders gut als Arbeitsmedium? Beachten Sie dabei, daß dieses Gebiet für Sie überaus wichtig ist. Wir müssen von Ihnen verlangen, daß Sie jederzeit als Physiker oder Fachingenieur für thermische Atomtriebwerke auftreten können. Falls Sie von orientierten Technikern oder Wissenschaftlern examiniert werden sollten, darf es keine Patzer geben. Bitte beantworten Sie meine Frage.«
Ich zwang mich zu einem Lächeln, während meine Blicke durch den kleinen Lehrsaal schweiften, in dem sich außer mir und dem Dozenten kein Mensch befand.
Ich wischte mir mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn und schaute unwillig auf die Uhr. Vier Stunden hatte ich ihm schon Rede und Antwort stehen müssen. Wir hatten einige technische Gase behandelt, die als Arbeitsmedien in Frage kommen konnten.
Nun war also der Wasserstoff an der Reihe. Da ich einsah, daß ich diesem Fanatiker nicht ungeschoren entkommen konnte, seufzte ich erschöpft und leierte die Lehrsätze herunter.
»Die theoretisch ermittelten und praktisch erprobten Ausströmgeschwindigkeiten des Wasserstoffs sind deshalb ausgesprochen günstig, weil das Gas den Vorteil eines kleinen Durchschnitts-Molekulargewichtes hat. Die hohen Werte bei einer angenommenen Aufheiztemperatur von Ti = 30.000 K und bei der angenommenen Entspannung in einer einfachen Laval-Düse ergeben sich deshalb, weil die Ausströmgeschwindigkeit der Quadratwurzel des
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