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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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Beweisen für spezifische einzelne Taten fehlte. Weil viele der Handlager des Holocaust zudem keine deutschen Staatsangehörigen waren. Und weil viel dafür zu sprechen schien, dass nicht wenige dieser «Fremdvölkischen» zum Mitmachen gezwungen wurden, dass sie selbst Täter und Opfer in einer Person waren. Oder dass sie jedenfalls keine Chance gehabt hätten, die Mordbefehle zu verweigern, wenn sie es denn gewollt hätten. «Befehlsnotstand» nennen die Juristen dieses verzweifelte Dilemma.
    Es bestand also, alles zusammengenommen, kaum Aussicht, ein Verfahren gegen «Hilfswillige» aus dem Osten vor einem deutschen Gericht zu gewinnen. Es gab im Grunde nicht einmal eine juristische Handhabe gegen sie, jedenfalls schien es so. Deshalb wurde auf aufwendige Ermittlungen verzichtet. Das war, bis 2008, die Position der Zentralen Stelle in Ludwigsburg – moralisch vielleicht nicht sonderlich befriedigend, aber juristisch abgesichert und praktikabel.
    Nur das Office of Special Investigations in Washington und das US-Justizministerium haben diese Haltung hartnäckig kritisiert. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen dem OSI und den deutschen Behörden bei der Strafverfolgung von NS-Verbrechen generell eng und vertrauensvoll war, entstand immer wieder Streit um die Behandlung von ganz bestimmten Fällen. Auf diversen politischen und diplomatischen Kanälen übten die Amerikaner Druck auf die Deutschen aus, endlich auch gegen Männer wie Demjanjuk vorzugehen, gegen niedere Chargen aus Osteuropa, die in den Vereinigten Staaten lebten und im Verdacht standen, in den Holocaust verstrickt gewesen zu sein. Die US-Ermittler verfolgten dabei nicht nur einen hohen moralischen Anspruch, sondern auch ein klares eigenes Interesse: Sie konnten die mutmaßlichen Nazi-Täter aus verfassungsrechtlichen Gründen in den USA selbst nicht anklagen, wollten sie aber dringend außer Landes schaffen und suchten nun nahezu verzweifelt Staaten, die die alten Männer aufnehmen würden.
    Aber die Bundesrepublik sperrte sich. Für die strafrechtliche Verfolgungvon Hitlers Handlangern aus Osteuropa seien in erster Linie deren ehemalige Heimatländer zuständig, erklärte Berlin. Also Ungarn, Rumänien, Polen, Kroatien, Russland oder die Ukraine. Doch die zeigten dazu wenig Neigung. Rumänien erließ 2002 sogar eigens ein Gesetz, um die Abschiebung rumänischstämmiger NS-Verbrecher in ihre alte Heimat unmöglich zu machen.
    Blieb, aus Sicht der Amerikaner, nur Deutschland. Das Land, in dem der Holocaust geplant und organisiert wurde. Das Land, dessen Uniformen die NS-Hilfstruppen aus dem Osten trugen. Das Land, das die Männer ausbildete, bezahlte und befehligte. Das Land, dem die «Vergangenheitsbewältigung» zur Staatsräson geworden ist.
    Und so machten die Amerikaner Druck. Immer wieder appellierten sie gezielt an die moralische Verantwortung der Bundesrepublik – in diplomatischen Noten, die zwischen den Botschaften und Ministerien getauscht wurden; in Gesprächen mit Repräsentanten Berlins in den Vereinigten Staaten; in Briefen an die Verantwortlichen in Politik und Justiz. Ein vertraulicher Bericht des US-Justizministeriums über die Arbeit des OSI, der im November 2010 von der «New York Times» veröffentlicht wurde, schildert den Umfang der Bemühungen – und die wachsende Frustration, die Berlins ablehnende Haltung in Washington hervorrief.
    Seinen Höhepunkt erreichte das diplomatische Ringen um die Jahrtausendwende, als Washington von der Bundesregierung die Aufnahme von Bronislaw Hajda und Anton Tittjung forderte, zwei ehemaligen KZ-Wächtern, die sich nach dem Krieg in den USA niedergelassen hatten. Hajda, geboren in Polen, und Tittjung, ursprünglich aus Kroatien stammend, waren nach Jahrzehnten einer unauffälligen Existenz vom OSI aufgespürt worden, hatten ihre US-Staatsangehörigkeit verloren und sollten abgeschoben werden, sobald sich ein Land bereitfände, sie aufzunehmen. Doch weder Polen noch Kroatien signalisierten Bereitschaft. Auch Deutschland reagierte ablehnend. Nach Gesprächen mit OSI-Chef Eli Rosenbaum schrieben daraufhin im Februar 2004 drei US-Kongressabgeordnete einen persönlichen Brief an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Abgeordneten verlangten von Schröder, der kurz vor einer wichtigen Reise nach Washington stand, dafür zu sorgen, dass Hajda und Tittjung endlich in Deutschland aufgenommenwerden könnten. Doch die Bundesregierung blieb hart. Außenminister Joschka Fischer lehnte die Aufnahme

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