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Der Fall (German Edition)

Der Fall (German Edition)

Titel: Der Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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anzuführen, wollte immer mit einem Lächeln bedient werden. Wenn das Dienstmädchen ein trauriges Gesicht aufsetzte, war mir der ganze Tag vergällt. Sie hatte durchaus das Recht, nicht fröhlich zu sein. Gewiss. Aber ich sagte mir, es sei besser für sie selbst, ihren Dienst nicht weinend, sondern lachend zu versehen. In Tat und Wahrheit war es besser für mich. Indessen war meine Überlegung, wenn auch nicht eben genial, so doch nicht völlig verkehrt. In das gleiche Kapitel gehört auch, dass ich nie in einem chinesischen Restaurant speisen wollte. Warum? Weil die Asiaten, zumal einem Weißen gegenüber, mit ihrem Schweigen oft Verachtung auszudrücken scheinen. Natürlich bewahren sie diese Miene auch beim Bedienen. Wie soll man da mit Genuss Schwalbennester verzehren und vor allem, wenn man die Kellner anschaut, weiterhin glauben, dass man recht hat?
    Unter uns gesagt, das Dienen – vorzugsweise mit einem Lächeln – ist also unvermeidlich. Aber wir dürfen es nicht zugeben. Wenn einer nicht umhin kann, Sklaven zu halten, ist es dann nicht besser, er nennt sie freie Menschen? Einmal um des Prinzips willen, und zum Zweiten, um sie nicht zur Verzweiflung zu treiben. Diese Genugtuung ist man ihnen doch schuldig, nicht wahr? Auf diese Weise bewahren sie weiterhin ihr Lächeln und wir unser gutes Gewissen. Andernfalls wären wir gezwungen, in uns zu gehen, und der Schmerz brächte uns um den Verstand oder wir würden gar bescheiden – alle Möglichkeiten stehen zu befürchten! Darum keine Embleme, und dieses hier ist ein Skandal. Was meinen Sie übrigens, wenn jedermann Farbe bekennen und seinen wahren Beruf, sein wahres Sein herauskehren wollte! Man geriete ja völlig aus dem Häuschen! Stellen Sie sich die Visitenkarten vor: Meier, hasenherziger Philosoph oder christlicher Hausbesitzer oder ehebrecherischer Humanist – die Auswahl ist wahrhaftig groß. Aber es wäre die Hölle! Ja, so muss die Hölle sein: Straßen voller Aushängeschilder und keine Möglichkeit, Erklärungen dazu abzugeben. Man ist ein für alle Mal festgenagelt und eingereiht.
    Sie zum Beispiel, Verehrtester, überlegen Sie sich einmal, wie Ihr Aushängeschild aussähe. Sie schweigen? Schon recht, Sie antworten mir dann später. Das meine kenne ich jedenfalls: ein Doppelgesicht, ein reizender Januskopf, und darüber der Wahlspruch des Hauses: «Trau schau wem». Auf der Visitenkarte: «Johannes Clamans, Komödiant». Ein Beispiel: Kurze Zeit nach dem Abend, von dem ich Ihnen erzählte, habe ich etwas entdeckt. Wenn ich mich von einem Blinden trennte, den ich sicher auf die andere Straßenseite geleitet hatte, lüftete ich den Hut. Dieser Gruß galt natürlich nicht ihm, er konnte ihn ja nicht sehen. Wem also galt er dann? Dem Publikum. Nach der Vorstellung die Verbeugung. Nicht übel, wie? Damals geschah es auch, dass ich eines Tages einem Automobilisten, der mir für meine Hilfe dankte, zur Antwort gab, kein anderer hätte das Gleiche getan. Natürlich wollte ich sagen: jeder andere. Dieser unglückliche Lapsus bedrückte mich lange Zeit. Wahrhaftig, was die Bescheidenheit anging, war ich unübertrefflich!
    Ich muss demütig eingestehen, Verehrtester, dass ich schon immer vor Eitelkeit beinahe platzte. Ich, ich und nochmals ich, so lautete der Kehrreim meines teuren Lebens, und aus allen meinen Worten war er herauszuhören. Sooft ich den Mund auftat, sang ich mein eigenes Lob, und zwar erst recht, wenn ich es mit jener schmetternden Diskretion tat, auf die ich mich so gut verstand. Ich habe, das ist allerdings wahr, stets in Freiheit und Machtfülle gelebt. Ich fühlte mich nämlich den Mitmenschen gegenüber aller Verpflichtungen enthoben, und zwar ganz einfach, weil ich niemand als ebenbürtig anerkannte. Ich habe mich immer für intelligenter gehalten als alle anderen, das sagte ich Ihnen bereits, aber auch für feinfühliger und gewandter, für einen hervorragenden Schützen, einen unvergleichlichen Autofahrer und einen unübertrefflichen Liebhaber. Selbst auf Gebieten, wo ich mit Leichtigkeit meine Unterlegenheit feststellen konnte, wie zum Beispiel im Tennis, bei dem ich bestenfalls einen erträglichen Partner abgab, fiel es mir schwer, nicht überzeugt zu sein, dass ich, hätte ich nur genügend Zeit für das Training, den Mitspielern den Rang ablaufen würde. Ich fand mich in allem und jedem überlegen – daher mein Wohlwollen und meine heitere Gelassenheit. Wenn ich mich um einen Mitmenschen kümmerte, so nur aus purer

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