Der Fall (German Edition)
war zufrieden. Ich hatte einen guten Tag hinter mir: ein Blinder, die erhoffte Strafermäßigung, der warme Händedruck meines Klienten, ein paar milde Gaben und am Nachmittag ein vor ein paar Freunden improvisierter glänzender Vortrag über die Hartherzigkeit unserer führenden Gesellschaftsschicht und die Scheinheiligkeit unserer Eliten.
Ich war auf den zu dieser Stunde menschenleeren pont des Arts getreten, um den Fluss zu betrachten, den man in der nun völlig hereingebrochenen Dunkelheit kaum ahnte. Dem Vert-Galant gegenüberstehend, überblickte ich die Insel. Ich spürte ein gewaltiges Gefühl von Macht und, wie soll ich sagen, von Erfüllung in mir aufsteigen, und mir wurde weit ums Herz. Ich richtete mich auf und wollte eben eine Zigarette anzünden, die Zigarette der Befriedigung, als hinter mir ein Lachen ertönte. Voll Überraschung wandte ich mich blitzschnell um – niemand. Ich beugte mich über das Geländer – kein Schleppkahn, kein Boot. Ich drehte mich wieder der Insel zu und hörte von neuem das Lachen in meinem Rücken, doch in etwas größerer Entfernung, als treibe es den Fluss hinunter. Ich verharrte reglos. Allmählich verklang das Lachen; indessen vernahm ich es noch deutlich hinter mir, es kam aus dem Nichts oder vielleicht aus dem Wasser. Gleichzeitig wurde mir das heftige Klopfen meines Herzens bewusst. Verstehen Sie mich recht: Das Lachen hatte nichts Geheimnisvolles an sich; es war ein herzliches, natürliches, beinahe freundschaftliches Lachen, das alle Dinge an ihren Platz rückte. Übrigens hörte ich bald nichts mehr. Ich ging auf den Quai zurück, schlug die rue Dauphine ein, kaufte Zigaretten, die ich nicht brauchte. Ich war wie betäubt, das Atmen fiel mir schwer. An jenem Abend rief ich einen Freund an – er war nicht zu Hause. Ich erwog, ob ich ausgehen solle, da hörte ich plötzlich Lachen unter meinem Fenster. Ich öffnete. In der Tat verabschiedeten sich auf dem Gehsteig ein paar junge Burschen mit lauter Fröhlichkeit. Achselzuckend schloss ich das Fenster; ich hatte ja noch Akten zu studieren. Ich begab mich ins Badezimmer, um ein Glas Wasser zu trinken. Mein Bild lächelte im Spiegel, aber mir schien, mein Lächeln sei doppelt …
Wie bitte? Verzeihen Sie, ich war mit meinen Gedanken anderswo. Ich werde Sie voraussichtlich morgen wieder sehen. Abgemacht, morgen. Nein, nein, jetzt kann ich nicht länger bleiben. Übrigens wünscht der Braunbär an jenem Tisch dort drüben meine Dienste in Anspruch zu nehmen. Unzweifelhaft ein braver Mann, den die Polizei abscheulich und aus purer Bosheit schikaniert. Sie finden, er sehe aus wie ein Totschläger? Ich kann Ihnen garantieren, dass sein Aussehen nicht trügt. Er betätigt sich auch als Einbrecher, und Sie werden Ihren Ohren nicht trauen, wenn ich Ihnen sage, dass dieser Höhlenbewohner Spezialist im Bilderschwarzhandel ist. In Holland ist jedermann Gemälde- und Tulpenkenner. Bei all seinem bescheidenen Gehaben hat mein Klient hier den berühmtesten Bilderdiebstahl aller Zeiten verübt. Welchen? Vielleicht verrate ich Ihnen das einmal. Wundern Sie sich nicht über mein Wissen. Ich bin zwar Buß-Richter, doch habe ich auch mein Steckenpferd: ich bin der Rechtsberater dieser guten Leute. Ich habe die Gesetze des Landes studiert und mir in diesem Viertel, wo man nicht nach Diplomen fragt, eine ansehnliche Kundschaft geschaffen. Leicht war es nicht, aber ich habe ja etwas sehr Vertrauenerweckendes, nicht wahr? Mein Lachen ist herzlich und offen, mein Händedruck kräftig, das sind wichtige Trümpfe. Und zudem habe ich ein paar schwierige Fälle ins Reine gebracht, zuerst aus selbstsüchtigen Gründen, dann aus innerer Überzeugung. Wenn die Zuhälter und Diebe immer und überall verurteilt würden, hielten sich ja alle rechtschaffenen Leute ständig für unschuldig! Und meiner Meinung nach – ich komme schon, ich komme schon! – muss gerade das verhindert werden. Denn sonst, Verehrtester, wäre es ja wirklich zum Lachen.
Im Ernst, Verehrtester, ich bin Ihnen dankbar für Ihre Wissbegier. Dabei hat meine Geschichte gar nichts Außergewöhnliches an sich. Aber da Sie es nun einmal wissen wollen: Ein paar Tage lang dachte ich noch hin und wieder an dieses Lachen, dann vergaß ich es. Von Zeit zu Zeit war mir, als hörte ich es irgendwo in meinem Innern. Aber zumeist gelang es mir mühelos, an andere Dinge zu denken.
Ich muss indessen bekennen, dass ich fortan die Ufer der Seine mied. Wenn ich gelegentlich im Wagen
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