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Der Fall (German Edition)

Der Fall (German Edition)

Titel: Der Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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jähzornige Kerl, den die nunmehr offenkundige Tücke seines Motors sichtlich erbitterte, wenn ich eine Tracht Prügel wünsche, so wolle er sie mir herzlich gern geben. Ein solches Übermaß an Zynismus erfüllte mich mit einer gesunden Wut, und ich stieg aus, um das ungewaschene Maul gehörig zu stopfen. Ich glaube, nicht eben feige zu sein (aber was glaubt man nicht alles!), ich war einen Kopf größer als mein Gegner, und auf meine Muskeln konnte ich mich verlassen. Ich bin heute noch überzeugt, dass die Prügel eher eingesteckt als ausgeteilt worden wären. Aber kaum stand ich auf dem Pflaster, löste sich aus der sich stauenden Menge ein Mann, stürzte auf mich los, versicherte, ich sei der lumpigste aller Lumpen, und er werde nicht dulden, dass ich die Hand gegen einen Mann erhebe, der durch ein Motorrad behindert und demzufolge im Nachteil sei. Ich kehrte mich unverzüglich diesem edlen Streiter zu, bekam ihn aber gar nicht recht zu Gesicht. Denn kaum hatte ich mich umgewandt, hörte ich das Losknattern des Motorrads und empfing beinahe gleichzeitig einen heftigen Schlag aufs Ohr. Ehe ich Zeit fand, mir des Vorgefallenen bewusst zu werden, war das Motorrad verschwunden. Wie betäubt ging ich auf meinen wackeren Recken zu. Aber gleichzeitig erhob sich aus der beträchtlich angeschwollenen Schlange der Fahrzeuge wieder das aufgebrachte Hupen. Das Licht wurde grün, und anstatt den Kerl, der mich angerempelt hatte, in den Senkel zu stellen, kehrte ich fügsam und immer noch ein wenig benommen zu meinem Wagen zurück und gab Gas. Im Vorbeifahren wurde ich von dem Idioten mit einem «jämmerlichen Wicht» bedacht, das mir jetzt noch in den Ohren klingt.
    Ein belangloser Vorfall, sagen Sie? Zweifellos. Von Belang ist lediglich der Umstand, dass es geraume Zeit dauerte, bis ich ihn vergaß. Dabei hatte ich mir nichts vorzuwerfen. Ich hatte mich schlagen lassen, ohne zurückzuschlagen, aber der Feigheit konnte mich niemand zeihen. Unvermutet von zwei Seiten angegriffen, war mir alles durcheinandergeraten, und die Huperei hatte mich vollends verwirrt. Und doch machte der Zwischenfall mich unglücklich, als hätte ich gegen die Ehre verstoßen. Ich sah mich immer wieder stillschweigend in meinen Wagen steigen, den ironischen Blicken einer Menschenmenge ausgesetzt, deren Schadenfreude umso größer war, als ich – dessen entsinne ich mich noch genau – einen sehr eleganten blauen Anzug trug. Ich hörte immer wieder jenes «jämmerlicher Wicht», das mir trotz allem gerechtfertigt schien. Denn im Grunde hatte ich in aller Öffentlichkeit gekniffen. Infolge eines Zusammentreffens besonderer Umstände, gewiss, aber es fehlt nie an besonderen Umständen. Nachträglich erkannte ich sehr wohl, was ich hätte tun müssen. Ich sah mich den kühnen Recken mit einem gutgezielten Kinnhaken zu Boden strecken, wieder in den Wagen steigen, dem Dreckkerl nachfahren, der mich geschlagen hatte, ihn einholen, sein Vehikel an den Straßenrand drängen, ihn beiseite nehmen und ihm die Prügel verabfolgen, die er so reichlich verdient hatte. Mit geringfügigen Varianten ließ ich diesen kleinen Film wohl hundertmal vor meinem geistigen Auge abrollen. Aber es war zu spät, und ein paar Tage lang würgte ich an einem bösen Groll.
    Ach, nun regnet es wieder. Wenn es Ihnen recht ist, stellen wir uns ein bisschen unter diesen Torbogen. Schön. Was wollte ich gleich sagen? Richtig, die Ehre! Nun, als mir dieses Begebnis wieder einfiel, begriff ich seinen Sinn: Mein Traum hatte ganz einfach die Probe der Wirklichkeit nicht bestanden. Ich hatte, so viel war jetzt klar, davon geträumt, ein ganzer Mensch zu sein, ein Mensch, der sich im persönlichen Bereich wie in seinem Beruf Achtung zu verschaffen wusste. Halb Sugar Ray Robinson, halb de Gaulle, wenn Sie so wollen. Kurzum, ich war bestrebt, in allen Dingen überlegen zu sein. Daher meine Wichtigtuerei, daher auch mein Ehrgeiz, eher mit meiner körperlichen Geschicklichkeit als mit meinen intellektuellen Fähigkeiten Staat zu machen. Aber nachdem ich mich in aller Öffentlichkeit hatte schlagen lassen, ohne mich zu wehren, war es mir nicht mehr möglich, ein so schmeichelhaftes Bild meiner selbst zu hegen. Wäre ich wirklich der Freund der Wahrheit und der Intelligenz gewesen, der zu sein ich vorgab, was hätte mich dann ein Vorfall gekümmert, den die Zuschauer längst vergessen hatten? Ich hätte mir höchstens vorgeworfen, um einer Nichtigkeit willen böse geworden zu sein und, einmal

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