Der Fall (German Edition)
oder im Omnibus vorbeifuhr, entstand eine Art Schweigen in mir. Ich wartete, glaube ich. Aber ich kam über die Seine, und nichts geschah; ich atmete auf. Damals begann auch meine Gesundheit mir ein wenig zu schaffen zu machen. Nichts Bestimmtes, eine Art Niedergeschlagenheit, wenn Sie wollen, eine gewisse Unfähigkeit, meine gute Laune wiederzufinden. Ich suchte Ärzte auf, und sie verschrieben mir Stärkungsmittel. Eine Zeitlang ging es aufwärts, dann wieder bergab. Ich trug schwerer am Leben: freudloser Körper, freudloses Gemüt. Mir schien, ich verlerne teilweise, was ich gelernt hatte und doch so gut konnte, nämlich leben. Ja, ich glaube wirklich, dass damals alles seinen Anfang nahm.
Aber auch heute Abend fühle ich mich nicht ganz auf der Höhe. Es fällt mir sogar schwer, meine Sätze zu drechseln. Ich spreche weniger gut, scheint mir, und meine Rede ermangelt der Sicherheit. Es liegt zweifellos am Wetter. Man kann kaum atmen, so dumpf ist die Luft, sie lastet wie ein Gewicht auf der Brust. Hätten Sie etwas dagegen, Verehrtester, ein bisschen mit mir durch die Stadt zu bummeln? Vielen Dank.
Wie schön sind die Kanäle im Abendlicht! Ich liebe den Brodem des fauligen Wassers, den Geruch der welken Blätter, die im Kanal modern, den Begräbnisduft, der von den blumenbeladenen Kähnen aufsteigt. Nein, nein, diese Vorliebe hat nichts Morbides, das dürfen Sie mir glauben. Im Gegenteil, sie ist lediglich eine Pose, denn in Wahrheit muss ich mich dazu zwingen, diese Kanäle zu bewundern. Mein liebstes Land auf Erden ist Sizilien, da haben Sie den Beweis … Sizilien im vollen Licht vom Ätna aus betrachtet, wenn Insel und Meer mir zu Füßen liegen. Auch Java liebe ich sehr, aber nur zur Zeit der Passatwinde. Ja, als junger Mensch war ich einmal dort. Ich liebe Inseln überhaupt. Es ist dort leichter zu herrschen.
Ein entzückendes Haus, nicht wahr? Die beiden Köpfe, die Sie da sehen, gehören Negersklaven. Ein Emblem. In diesem Haus wohnte ein Sklavenhändler. Ah, damals spielte man noch mit offenen Karten! Man hatte Aplomb und sagte: «So ist das. Ich bin ein gemachter Mann. Ich handle mit Sklaven. Ich halte Negerfleisch feil.» Können Sie sich vorstellen, dass sich heutzutage jemand öffentlich zu einem solchen Gewerbe bekennt? Welch ein Skandal! Ich höre geradezu, wie meine Pariser Kollegen vom Leder ziehen! In dieser Beziehung verstehen sie nämlich keinen Spaß; sie würden keine Sekunde zögern, ein oder zwei Manifeste zu veröffentlichen, vielleicht sogar mehr! Wenn ich es mir recht überlege, würde ich sogar mit unterschreiben. Sklaverei? – Oho! da sind wir allerdings dagegen! Dass man gezwungen ist, sie bei sich zu Hause oder in der Fabrik einzuführen, meinetwegen, so will es die Ordnung der Dinge, aber sich noch damit zu brüsten – das wäre die Höhe!
Ich weiß wohl, dass man nicht darum herumkommt, zu herrschen oder bedient zu werden. Für jeden Menschen sind Sklaven ebenso lebensnotwendig wie frische Luft. Befehlen ist gleichbedeutend mit atmen, Sie sind doch auch dieser Ansicht? Und selbst die Ärmsten unter den Armen bringen es fertig, zu atmen. Auch auf der untersten Sprosse der sozialen Stufenleiter hat man immer noch eine Frau oder ein Kind. Einen Hund, wenn man Junggeselle ist. Hauptsache ist, dass man sich erbosen kann, ohne dem anderen das Recht zur Entgegnung zuzugestehen. «Seinem Vater widerspricht man nicht» – Sie kennen diesen Grundsatz? In gewissem Sinn ist er seltsam. Wem auf Erden sollte man etwas entgegnen, wenn nicht dem Menschen, den man liebt? Andererseits ist er durchaus einleuchtend. Einer muss ja schließlich das letzte Wort haben. Sonst gäbe es für jeden Grund einen Gegengrund, und es könnte endlos so weitergehen. Macht hingegen entscheidet. Es hat lange gedauert, bis wir das schließlich begriffen haben. So werden Sie zum Beispiel bemerkt haben, dass unser altes Europa endlich die richtige Art des Philosophierens herausgefunden hat. Wir sagen nicht mehr wie in früheren, unverbildeten Zeiten: «Das ist meine Meinung. Welches sind Ihre Einwände?» Jetzt sind uns die Augen aufgegangen. Wir haben den Dialog durch die Verlautbarung ersetzt. «Das ist die Wahrheit», sagen wir. «Ob Sie daran herumdiskutieren, ist uns gleich. Aber in ein paar Jahren wird die Polizei Ihnen beweisen, dass ich recht habe.»
Liebe, gute Erde! Jetzt ist alles klar. Wir kennen uns, wir wissen, wozu wir fähig sind. Ich selber, um ein anderes Beispiel zum gleichen Thema
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