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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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und schwer. Erst nach ein paar Schritten nahm er den breitkrempigen Filzhut ab und entblößte einen von eisgrauen Borsten bestandenen Schädel von einer Mächtigkeit, daß von dem Moment ab der Körper um fünf Zoll größer aussah. Augen und Blick waren von einer Brille mit schwarzen Gläsern völlig verdeckt, und diese schwarzen kreisrunden Flecke hoben die Leichenfarbe des verfalteten, bartlosen, massigen, qualligfetten Gesichts derart scharf hervor, daß es wie eine künstliche, zum Zweck der Furchterregung weiß angestrichene Maske wirkte. Etzel senkte unwillkürlich den Kopf auf seinen Teller herunter. Er hatte ein Gefühl, als habe man ihm etwas Beizendes in den Schlund geträufelt, und er mußte ein paarmal heftig schlucken. Er wagte nur verstohlen hinzuschauen, aber er spürte den Mann wie ein ungeheures, auf ihm lastendes Gewicht. Die meisten Leute kannten ihn, manche nickten ihm zu, als er an seinen Tisch ging; er aß allein, und man hatte für ihn sogar ein Tischtuch aufgelegt, manche riefen: »Tag, Professor!«, denn Professor wurde er allgemein genannt, auch von den Leuten auf der Straße, die ihn bloß vom Sehen kannten.
    4

    Heut in einer Woche, beschloß Etzel, sprech ich ihn an, außer es ergibt sich vorher von selber günstige Gelegenheit. Dazu bestand aber wenig Hoffnung, der »Professor« redete mit niemand. Auch wenn die Tische dicht besetzt waren und man vor Stimmenlärm das eigene Wort nicht hörte, saß er unbeteiligt an seinem Extratisch am Fenster und las in einem Buch, das er aus der rückwärtigen Tasche des lächerlichen Gehrocks fischte und neben seinem Teller aufschlug. Er schien keinen zu sehen und was sie sagten nicht zu verstehen. Ich sprech ihn an, beschloß Etzel, und bitte ihn, mir englische Stunden zu geben. Kein so erstaunliches Wagnis, sollte man meinen, da es der von allen gewußte Beruf des Mannes war, Unterricht zu erteilen und Schüler zu werben. Gleichwohl war Etzel von dem Gedanken erleichtert, daß er Zeit vor sich hatte. Das Blut schoß ihm zu Kopf, das Herz pochte wie ein kleiner Benzinmotor, wenn er sich Begegnung und Zusammensein ausmalte. Es war nicht Feigheit, es wurde ihm nur das Maßlose dessen, was er durchführen wollte, schaudernd bewußt; und wenn er es dann vollkommen, bis in die Fingerspitzen und in die Seele hinein wußte und spürte, lächelte er, ungefähr wie einer, der auf einem brennenden Haus steht und die Höhe abschätzt, die er unbedingt hinunterspringen, sich die Stelle bezeichnet, wo er unbedingt landen muß, wenn er nicht mit Sicherheit Hals und Beine brechen will. Es muß freilich ein tüchtiger Springer und im ganzen ein etwas magisches Subjekt sein.
    Indessen nutzte er die gegebene Frist planvoll, und der Plan war, sich im Kosthaus Bobike beliebt zu machen, von allen gekannt zu sein, als bon camarade zu gelten, sich kleinen Dienstleistungen zu unterziehen, von jedem für seinesgleichen genommen zu werden, ein munteres Wesen zur Schau zu tragen, durch allerlei Schnurren zur Unterhaltung beizusteuern und sich auf diese Weise der Aufmerksamkeit des »Professors« unmerklich aufzudrängen, so daß er von seiner Person Notiz nehmen mußte und eine gewisse Vorstellung von ihm bekam, die sich im weiteren Verlauf fruchtbringend erweisen sollte, die Vorstellung nämlich eines gutmütigen, anstelligen Jungen, der des Vertrauens würdig, der Führung bedürftig und zu allen möglichen Dingen zu gebrauchen war. Er sah ja bald, der »Professor« (bei sich selbst nannte ihn Etzel stets Waremme, der Name Warschauer war gar nicht vorhanden für ihn) lebte ganz einsam, schien keinerlei Anhang und Beziehung zu haben; aber er sagte sich nicht mit Unrecht, daß es keine noch so fest ummauerte menschliche Existenz gab, zu der sich nicht ein Zugang finden ließ, wenn man klug und geschickt war. Es genügte nicht, sich ihm einfach als Schüler anzutragen, es war besser, wenn schon günstige Voraussetzungen mitspielten. Er trat auch hier als »Privatsekretär« auf, erfand aber dazu die Geschichte von einem durchgegangenen Onkel, seinem einzigen Verwandten auf der Welt, Erhalter und Vormund, der ein kleines Erbkapital für ihn verwaltet habe und den er seit vielen Wochen suche, er habe zuverlässige Nachricht, daß er sich in Berlin aufhalte, und zwar in dieser Gegend. Die sentimentale Erzählung wurde gläubig aufgenommen. Sie fügte sich durchaus in das Milieu. Er verstand sich darauf, Effekte zu unterstreichen, indem er sie zurückhielt, er hatte die

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