Der Fall Maurizius
Charakter, Herkommen, Mittel. Das Resultat schien sie zu befriedigen. Netter Junge, offenes Gesicht, vermutlich von guten Eltern. Die Sache versprach etwas. Beide Kammern waren gegenwärtig frei. Im Winter hatten zwei Techniker von den Borsig-Werken drin gewohnt, vorzügliche Leute. Sie vermiete nur mit Pension, Frühstück und eine Mahlzeit, mittags oder abends. Das mit dem Verborgenbleiben solle wohl heißen, daß er nicht gemeldet werden wolle? Darauf stehe hohe Strafe, wie er wissen werde, da seien sie eklig hinterher. Aber als er einwarf, in Anbetracht des schwierigen Umstands könne er vielleicht etwas mehr zahlen, fiel sie ihm hastig ins Wort, als wolle sie Ungebührliches nicht von ihm fordern: »Naja, das werden wir besprechen, jedenfalls kommen Sie mal mit mir mit, daß Sie sich die Bude ansehn können. Es wird zwar Mitternacht, bis wir nach Hause kommen, aber dafür können Sie ja morgen ausschlafen.« Er seinerseits überlegte: das hat sich prächtig getroffen, bei dem Buchhalter Schneevogt in der Anklamer Straße werden sie mich nicht ausfindig machen, da müßten sie schon die Häuser einzeln absuchen. Er war zufrieden. Der Zug klappert durch silbergraue Nebel, die Ebene, horizontlos, kocht wie das Meer. Aber es ist Frühling, alles ist fremd, infolgedessen alles lockend; sogar die leise Angst in der Brust, Weltangst, Menschenangst, erregt das Blut in nicht unangenehmer Weise.
2
Die Kammer, die er bezog, gegen einen finstern Hof gelegen, war fünf Schritt lang und drei breit; die Ausstattung: schmales Bett mit einem Strohsack und einer Wolldecke, verrosteter eiserner Ofen, invalide Kommode mit drei Füßen, runder Waschtisch aus Blech und einer Schüssel von dem Umfang eines Rasierbeckens, Holztisch und zwei Stühle mit strohgeflochtenen Sitzen. An der graugetünchten Wand prangte ein Öldruck, die Schlacht bei Vionville, längs des Bettes zeigte die Mauer verdächtige Blutspritzer, die er eine Weile fragend betrachtete, bis ihm einfiel, daß sie auf eine Wanzensiedlung deuteten. Er hatte Wanzen nie gesehen. Von der Decke hing ein Gasarm mit Auerbrenner und Marienglaszylinder herab. Das einzige Fenster hatte keinen Vorhang, man konnte in die gegenüberliegende Wohnung sehen, in der zahlreiche Menschen zu hausen schienen; es huschten anderntags beständig neue Gesichter an den Fenstern vorüber. Hübsch ist es nicht dahier, dachte Etzel, während er seinen Rucksack auspackte, aber es kann mir gleich sein; darum daß es hübsch sein soll, bin ich nicht da. Der größte Übelstand war, daß die Kammer keinen eigenen Eingang hatte; um zu ihr zu gelangen, mußte er durch das Zimmer gehen, worin die Haustochter schlief. Zwar war das Bett von einer dünnen Stoffportiere verdeckt, aber Etzel fühlte sich geniert dadurch. Tut nichts, redete er sich zu, es ist nicht anders; wär's anders, so wär's eben leichter. Den Preis zu fixieren zögerte Frau Schneevogt lange, sie müsse es erst ausrechnen, ihren Mann zu Rate ziehen; was die Pension betreffe, sei ein genauer Überschlag zu machen, er müsse natürlich vorliebnehmen; wenn er eine Mahlzeit absage, müsse sie sie trotzdem berechnen; wieder ein wortreicher Sermon, der in einer Hymne auf die eigene strenge Redlichkeit gipfelte. Endlich rückte sie mit Ziffern heraus, sechzig Mark im Monat für Logis und Kost, sieben Mark fünfzig für Bedienung, Beleuchtung und Wäsche. Etzel dachte nicht daran, zu feilschen, er zählte siebenundsechzig Mark fünfzig von seiner Barschaft ab und brachte sie ihr, eine Promptheit, die ihm eine hohe Meinung bei ihr erwirkte: von da an hielt sie ihn für »etwas Besseres«, war aber zugleich eine Beute widerstreitender Empfindungen; einerseits schloß sie ihn mit einer gewissen gröblichen Zuneigung in ihr dürres Herz und bedauerte ihn, weil er so verlassen in der Welt stand, andererseits bereute sie, nicht mehr verlangt zu haben, studierte, was sie noch herausschlagen könne, und witterte daneben ein Geheimnis, dessen Entdeckung nicht bloß noch greifbareren Profit abwerfen, sondern auch ihre ganze Existenz umgestalten konnte. Man kann häufig beobachten, daß es immer die subalterne Natur ist, die zu phantastischen Lebenskombinationen neigt und sich mit Lust im Unwirklichen bewegt; Sympathie und Interesse sind dann wie zwei ungleiche Geschwister, die sich vertragen möchten und nicht recht wissen, wie. Sie durchschnüffelte natürlich alle seine Habseligkeiten, fand aber nichts, was ihr einen Hinweis gab. Er hatte sich
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