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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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in dem Raum noch nie vernommen worden, die Zelle wird doppelt so groß, der Tisch doppelt so hoch, der Kopf schwillt an, es ist, als bekäme man eines der Gase eingepumpt, die alle Dimensionen übertreiben. Was weiß man denn von diesen . . . diesen Gefühlen, wie? Ach so, man dürfe dem Frager einigen Scharfsinn zutrauen. –Scharfsinn, pah! Kein Scharfsinn kann da hin. – Worte, das seien Worte, der Mensch gibt sich kund, ob er will oder nicht. Es folgt Frage auf Frage und Antwort auf Antwort. Er hat die Nachricht von seinem Vater. Sie stand in einem Brief. Anderes, in demselben Brief Befindliches hatte die Zensur nicht durchgelassen. Wahrscheinlich ebenfalls Anna Jahn Betreffendes. Da er jenes zuerst für Lüge gehalten, verspürte er auch kein Verlangen, das Fehlende zu wissen. Erst nach und nach hat er sich an den Gedanken gewöhnt, die Möglichkeit bei sich selber zugegeben. Warum nicht? Warum sollte sie nicht heiraten? Welche Verpflichtung bestand für sie, ledig zu bleiben? Hätte sie Nonne werden sollen? Nun, vielleicht, vielleicht wäre das Kloster das Richtige gewesen. Der Vater freilich, in seinem bodenlosen Haß, klaubte alle Verleumdungen eifrig auf, die über sie umliefen, vor langer Zeit einmal, vierzehn, fünfzehn Jahre mag es her sein, deutete er bei einem seiner Besuche etwas niederträchtig Gemeines an, nämlich sie und Waremme sollten . . . doch das will er gar nicht wiederholen, der Alte hat sich auch wohl gehütet, je wieder davon zu reden, abgesehen davon, daß die Bewachung der Privatgespräche bald darauf sehr streng wurde, aber wenn er von da an seinen Halbjahrsbesuch machte, wußte er kaum was zu sagen, stand nur da in seiner jämmerlichen Betrübtheit und starrte den Sohn hilflos an. Er hatte den Mut nicht mehr, seine Wahnidee aufs Tapet zu bringen. Dem Vernehmen nach sei die Duvernonsche Ehe recht glücklich geworden, schaltet Herr von Andergast trocken ein. – »Duvernon? Ah so, das ist der Mann. Möglich.« – »Es sollen auch Kinder dasein. Zwei Mädchen.« Die ans Kinn geschmiegte Hand von Maurizius zitterte. »Kinder? wirklich Kinder? Kann das sein? Kinder? Sie sagte einmal, sie wolle niemals Kinder haben.« – »Da war sie selber noch ein halbes Kind.« – »Sie hatte in dem Sinn kein Alter. Sie sagte nie etwas, was nicht in ihrer Natur war.« – »Doch hat gerade sie sich Ihrer unehelichen Tochter mit aller Gewissenhaftigkeit angenommen . . .« Maurizius drückt die Zeigefinger in die Augen. Seine Lippen werden vollständig weiß. »Hildegard . . . ja . . .« flüstert er. – »Besteht die Beziehung nicht mehr? Ich meine: zwischen Anna und Ihrer Tochter?« – »Das weiß ich nicht.« – »Wie . . . Sie wissen es nicht . . . hat man Ihnen denn . . .?« – »Nein«, schreit Maurizius auf, »nichts. Nichts hat man. Ich weiß nichts von meinem Kind.« Herr von Andergast zeigt weder Bestürzung noch Ungehaltenheit über den verzweifelten Ausbruch, der jäh wieder erlischt. Er fragt teilnehmend nach den näheren Umständen und erfährt, Maurizius habe Anna Jahn durch Dr. Volland, den sie zum Mittelsmann gewählt, das Versprechen geben müssen, sich um Hildegard nie mehr zu kümmern, er müsse für das Kind gestorben sein, unter dieser Bedingung wolle Anna die fernere Erziehung mit aller Sorgfalt leiten. Herr von Andergast findet die Selbstüberwindung lobenswert, die den geistigen Frieden des jungen Wesens gewährleistet, und meint, es bestehe kein Zweifel, daß Anna Duvernon sich an die übernommene Verpflichtung genau so gebunden erachten werde wie Anna Jahn. Maurizius dreht den Hals wie gewürgt. Ja. Ja. Mag sein. Aber er weiß es nicht. Er müßte wissen. Ein Zeichen müßte er haben. Weiß er denn, ob das Mädchen noch lebt? Was ist da draußen nicht alles verdorben und gestorben inzwischen. Herr von Andergast wundert sich über die leidenschaftliche Anhänglichkeit des lebenslänglich verurteilten Zuchthäuslers an ein Geschöpf, das er seit dessen Säuglingsalter nicht gesehen hat, und es ist unentschieden, ob er es überhaupt gesehen hat. Es scheint ein Fall von Phantasievergötterung zu sein, ein Anker, ins Ewige hinaus geworfen. In unbefangenem Ton, wie man mit einem guten Bekannten beim schwarzen Kaffee plaudert, wirft er die Bemerkung hin, Anna Jahn müsse in ihrer Jugend, aus ihrem späteren Leben sei ja wenig bekannt, ein schwer faßlicher Frauencharakter gewesen sein, zum Beispiel sei es ihm stets unerklärlich erschienen, daß sie ihre Sorgfalt und Bemühung

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