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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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explosionsbereiter Spannungen. Er hat dann das Gefühl der Selbstbezweiflung, als könne es kommen, daß er nicht standzuhalten vermöchte. Maurizius kontra Andergast. Eine Abrechnung am Ende? Nun, man wird sehen.
    Er schreitet durch die Zelle. Zur Tür hin und wieder zurück. An Maurizius dicht vorbei. Er sagt: »Das alles ist freilich übel. Aber Sie verallgemeinern denn doch zu stark. Die Mißstände zugegeben, sie wachsen aus der Welt. Die Welt ist, wie sie ist, starr und nicht gut. Ich will nichts beschönigen. Gehen wir endlich auf des Pudels Kern. Für so dumm werden Sie mich nicht halten, daß ich die angeführten Gründe eines achtzehnjährigen konsequenten Schweigens glauben soll. Oder? Sie wollen von der Sache wegreden. Sie haben sich jedoch verraten. Also, weil Sie keinen Mord begehen wollten. Deshalb. Erstaunliches Argument im Mund eines verurteilten Mörders. Nun gut. Das nur am Rande. Auf welche Person zielte die Bemerkung? Das Rätsel scheint mir lösbar. Also die Anna Jahn sollte geschont werden. In welcher Hinsicht geschont? Warum geschont? Nehmen Sie es nicht zurück, tun Sie es nicht, Gott selbst hat es vielleicht aus Ihnen herausgerufen. Ja, Gott selbst. Fürchten Sie sich nicht. Sprechen Sie sich aus . . .« Herr von Andergast kann nicht umhin, sich in dem Pathos seines Appells ein wenig unbehaglich zu fühlen. Maurizius hat sich an dem Auf- und Abgehen des Mannes mit der langsamen Kopfbewegung eines Hundes beteiligt, der seinen Herrn keine Sekunde aus dem Auge verlieren will. Er lauscht, öffnet ein wenig den Mund, die kleinen Zähne ragen hervor, er lauscht den Worten nach, senkt die Lider. »Jetzt meinen Sie wohl, Sie haben mich erwischt«, murmelt er gehässig; gleich danach, mit veränderter Stimme, leise, demütig: »Ist es sehr unbescheiden, wenn ich noch um eine Zigarette bitte?« Herr von Andergast beeilt sich, ihm das offene Etui hinzureichen, gibt ihm auch Feuer. Maurizius zieht den Rauch tief in die Lungen und stößt ihn durch die Nase wieder aus. Herr von Andergast setzt sich an den Tisch und kreuzt die Beine. Er sieht genau aus wie bei den obligaten Abendgesprächen mit Etzel, wohlwollender Freund, der bereit ist, über interessante Probleme zu diskutieren. Allein sein Blick flattert unmerklich, seine Stirn ist gerötet. Abermals schauen sie einander schweigend an. Ob Sophia wohl schon da ist? denkt Herr von Andergast mitten in dem Schweigen. Es quält ihn, sich auszumalen, mit welcher Miene sie vor ihn hintreten wird, um den Sohn von ihm zu fordern. Er würde das Schwerste auf der Welt tun, wenn er dem entfliehen könnte. Glücklicherweise ist die Aufgabe hier hinlänglich schwer.
    9

    »Haben Sie niemals Aufzeichnungen gemacht?« fängt er an zu fragen. Seine geduldige Gelassenheit, Ergebnis konzentrierter Selbstbeherrschung, wirkt nach und nach wie ein lösendes Medikament auf Maurizius. »Es hat mich nie gereizt«, entgegnet er; »wozu? für wen? als man mir schriftliche Arbeiten erlaubte, gegen Ende des Jahres elf, habe ich vorgezogen, mich meinen Fachstudien zuzuwenden, aber da es mir an Material fehlte, mußt ich notgedrungen ins Allgemeine gehen. Zu lang hatt ich in mich selber hineingestiert, war schon ganz blind davon geworden. Das müßt ich mal einem Menschen begreiflich machen . . . man kann es aber nicht. Man kann es nicht. Der Leib wird zur Schraube und hineingebohrt in etwas Gräßliches. Was ich sagen wollte . . . ja: Viele Monate hindurch hab ich an einer Sache geschrieben, Geschichte des Madonnenkultus auf Grund bildnerischer Darstellungen. Ich kam zu eigentümlichen Resultaten dabei, auch in bezug auf mein Leben. Während ich schrieb, übersetzte ich es gleich ins Italienische und Spanische, an beiden Sprachen hatt ich von jeher viel Freude. Eine Weile spielt ich sogar mit dem Gedanken an Publikation, hielt so was für möglich, glaubte, es könne mir helfen. Aber nur eine Weile. Innerlich war ich längst fertig mit dieser Art Zeitvertreib, da kam ein neuer Direktor, Oberst Gutkind, nomen non est omen. Er verbot mir das Schreiben, konfiszierte meine Bücher, auch die Manuskripte sollt ich abliefern. Er wollte mir nicht wohl, der Herr Oberst, ich war ihm geradezu ein Dorn im Auge, warum, hab ich nie ergründen können. Ich habe nicht erst gebettelt und gehandelt, sondern die Schriften vernichtet. Seitdem ist mir die Lust zu dergleichen vergangen.« – »Von dem Vorgang ist mir nichts bekannt geworden«, sagte Herr von Andergast mit zusammengezogener Stirn. –

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