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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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haßte sie, sämtlich. Ich haßte ihr Idiom, ihren Witz, ihre Denkungsart, ihren Geschäftsgeist, ihre spezifische Melancholie, ihre Anmaßung, ihre Selbstpersiflage. Ich zerbiß nachts mein Kopfkissen vor Wut, wenn ich an eine Schmähung, eine Zurücksetzung dachte, ob sie nun mir oder meinem Vater oder irgendeinem Juden überhaupt widerfahren war. Ich zitterte in der Schule vor Scham und Empörung, wenn nur das Wort Jude fiel, schon bei einfacher Feststellung, begreifen Sie das? Es war alles darin enthalten, in der Art, wie es ausgesprochen wurde, das Vorurteil, die Geschichtsfälschung, der eingefleischte Haß, dem die Jahrhunderte nichts von seiner Roheit und Giftigkeit geraubt hatten. Denn ich wußte Bescheid. (Er stieß mit dem Stock auf den Boden.) Mit neun Jahren wußt ich schon Bescheid, mit fünfzehn hatte ich ein gründliches Studium in dieser Hinsicht hinter mir und war jeder Disputation gewachsen. Aber mit Disputationen erschüttert man keine Tatsachen, auch die verworfensten nicht, in unserer Welt nicht mehr, und von allen Tatsachen gab es eine, die mir vollkommen unerträglich war, nämlich, daß ich von irgendeinem Gebiet des Lebens und Wirkens sollte ausgeschlossen sein. Was, ich? Ich mit .meinen Gaben, mit meinem Verstand, mit der Glut in meinem Innern, ich sollte nicht, unter keinen Umständen, sagen wir beispielsweise: auf einem Ministerstuhl sitzen? Nein, unter gar keinen Umständen, Präsident einer wissenschaftlichen Akademie sein? Und das hieß, sich hoch versteigen, mein Lieber (er lachte in die Luft hinaus), das waren schon Phantasieprätensionen, mein Ehrgeiz durfte sich nicht einmal an eine Professur wagen. Unter keinen Umständen konnte ich zu der Geltung gelangen, die der mittelmäßigste Kopf, sofern er nur nicht das Femezeichen trug, als selbstverständlich zu beanspruchen hatte. Der Gedanke machte mich toll. Ich konnte forschen, konnte auf meine Weise lehren, konnte Werke schaffen, niemand würde mich mehr als üblich daran hindern, zuletzt würden sie mir ihre Anerkennung nicht vorenthalten und, wenn ich Wunderbares leistete, am Ende sogar ihre Bewunderung nicht, aber . . . im Tiefsten würden sie mir nicht glauben, im Tiefsten würden sie mich und meine Leistung leugnen, nur unter der stärksten Pression würden sie mir die Ehre erweisen, mit der sie sich untereinander verschwenderisch beschenken. (Er nahm den Schlapphut vom Kopf und setzte ihn sogleich wieder auf.) Aber das alles waren ja Überlegungen. Unmöglich, das Wesentliche wiederzugeben, das Gefühl: es ist mir versagt . . . ja was: versagt? einfach versagt, zu sein! mitzusein! dazusein! Denn ich konnte nur sein, damals wenigstens, ich konnte nur sein, wenn ich die Welt hatte, die vollständige Fülle der Welt, ohne Abzug und Abstrich, die ganze strahlende Breite geistiger Existenz. Darum fällt der Einwand, den Sie wahrscheinlich im stillen bereits gemacht haben, daß von allen diesen Gründen jeder einzelne genügt hätte, mich mit denen meines Stammes solidarisch zu erklären, aus den Widerständen doppelte Kraft zu ziehen, dieser Einwand fällt in sich zusammen. Wie gesagt, ich liebte sie nicht. Da ich sie nicht liebte, entband ich mich der Zugehörigkeit. Sie konnten mir für das, was ich entbehrte, keinen Ersatz bieten. Ich war kein Renegat, wenn ich sie verließ, ich gehorchte meiner Notwendigkeit. Ich liebte sie nicht, das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, daß meine Liebe drüben war, bei den andern. Kein seltener Fall: Der Zurückgestoßene verliert seine Seele an die, die ihn zurückstoßen. Ein sehr jüdischer Fall. Was ihm verwehrt ist, das ist die Verheißung des Juden, was er nicht hat, sein teuerster Besitz. Immer wieder das verlorene Paradies. Auch ein jüdischer Fall. Sündenfall. Dort haßte ich, hier liebte ich. Ich liebte ihre Sprache . . . ihre Sprache? meine! so gut, wie meine Augen mein sind . . . liebte ihre Geschichte, ihre Heroen, ihre Lieder, ihre Landschaften, ihre Städte. Ich liebte das alles tiefer, als sie selber es lieben, und verstand es besser als sie. Das ist keine Prahlerei, mein Sohn, es ist Schicksal. Im übrigen . . . ich habe den Beweis erbracht. Nun, gehen wir zurück. Angefangen hat es mit Legendenbildung. Als meine Mutter starb, eine einfache Frau, die noch an alten jüdischen Bräuchen gehangen hatte, machte ich sie zu einer Christin, Tochter eines abgedankten Militärs. Ich redete es mir so fest ein, daß es mir zum Faktum wurde, mit den überzeugendsten

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