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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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mir's, bitte . . .« Warschauer ging zweimal durch das Zimmer, die Hände auf dem Rücken und mit ihnen die Rockschöße schwenkend. »Um das zu erklären, Mohl . . . es war selbstverständlich eine rhetorische Figur. Kein Gedanke an Täuschung.« Er stand schon wieder beim Sofa. »Wie fühlen Sie sich? Heiß? Wenn Sie mir kein Fieber kriegen . . .« – »Um das zu erklären . . .«, sprach Etzel seine ersten Worte nach, hartnäckig wie ein Kind, dem man eine angefangene Geschichte vorenthält. – »Was für eine Ungeduld! Zähme deine wilden Triebe, Freundchen«, spottete Warschauer mit orgelnder Stimme und nahm seinen Marsch wieder auf, das Kreuz eingedrückt (wodurch sein stolzierender Gang dem eines Hahnes ähnlich wurde), die Rockschöße schwenkend. – »Erst wollen Sie offen reden, dann ist es wieder eine rhetorische Figur«, erzürnte sich Etzel, »wer kennt sich da aus.« – Warschauer seufzte. »Mein lieber, guter Mohl, das ist alles so weit weg . . . das ganze tragische Possenspiel . . . so weit weg . . . total unter den Horizont gesunken . . . lauter Schatten . . . lauter Phantome . . . am besten, man hüllt es in Schweigen.« Er ging um den Tisch herum, ergriff die Teedose, stülpte den Deckel darüber und schlug mit der flachen Hand darauf; ein kategorisches Schlußzeichen.
    Etzel dachte verzweifelt: Elender alter Kerl, eben war er so schön im Zug, was tu ich nur, was fang ich an? Äußerlich blieb er still, er sah wohl, daß er für heute nicht weiter drängen durfte. Doch bäumte sich alles in ihm auf gegen dies lahme Gehaspel Schritt vor Schritt, als ob man mit den Füßen im Morast steckte und der andere, am Rand stehend, sich immer mehr entfernte, während er vorgab, einem zu helfen. Er sah auch, daß er auf die bisherige Art nichts erreichte, er mußte eine neue finden. Gegen den ist Trismegistos ein wahrer Ofen von Gemütlichkeit, faßte er seine Erbitterung zusammen, und plötzlich erschien sein Vater vor ihm, halbabgekehrt sitzend, die Beine gekreuzt, unbewegliches Monument. Es war ein scheues Erinnern, das zum Bild wurde und gleich wieder zerfloß. Er hatte keine Zeit, in seinem Gehirn keinen Raum für andere Überlegungen als die eine: was tu ich nur, was fang ich an? Während er grübelte und sich den Kopf wund dachte, hatte ihm der Instinkt bereits den richtigen Weg gewiesen. Instinkt und Anteil. In dem Maß, wie ihm die Person Warschauers immer rätselhafter wurde, immer unaufschließbarer, wuchs auch das Beunruhigende an dem Mann, er konnte nicht ablassen, ihn zu beobachten, zu studieren, zu belauschen, und er verspürte das brennende Verlangen, in sein unbekanntes Leben einzudringen, dort, wo Georg Warschauer aufhörte und Gregor Waremme begann. Denn von Waremme wußte er so gut wie nichts. Waremme stand hinter einem Nebel. Waremme war der Meister, der sich verbarg, Warschauer nur der unbedeutende Gehilfe, der die Befehle empfing. Zwei Gestalten, scharf abgetrennt voneinander, viel schärfer als etwa E. Andergast und E. Mohl. Von denen war wieder Mohl der Wichtigere, obschon er der Spätere war. E. Andergast hätte niemals Warschauer begegnen können, das war E. Mohls Aufgabe gewesen, und Mohl hatte nun auch dafür zu sorgen, Waremme stellig zu machen; armer Mohl, ironisierte sich Etzel, du allein gegen alle zwei, Warschauer und Waremme. Mit solchen Gedankenspielereien verscheuchte er manchmal seine Anfälle von Mutlosigkeit. Was Warschauer betrifft, so nahm er das ihm halb heimlich, halb mit naiver Ungeduld entgegengebrachte Interesse freundlich auf und wartete nur auf den Anstoß, es zu befriedigen, ich habe ja schon erwähnt, daß ein derartiges Verlangen, insofern es ihm selber galt, seiner vollen Bereitwilligkeit sicher war. Zwei Tage nach dem letzten Gespräch geschah es, daß Etzel unter einem Stoß alter, verstaubter Broschüren eine hervorzog, auf der mit kühnen, unverkennbar jugendlichen Schriftzügen der Name Georg Warschauer stand. Dazu Monat und Jahr: April 1896. Warschauer, der zufällig nach ihm hinschaute, bemerkte sein betroffenes Gesicht, kam heran, blickte auf den Namen und sagte: »Stimmt, so heiß ich, das ist mein wirklicher Name. So heiß ich von Hause aus.« Etzel machte große Augen. Komisch, dachte er in einem Gefühl, als sei er überlistet worden. Es ist also nur eine Einbildung, daß Warschauer ein Überbleibsel von Waremme ist, vor Waremme gab's schon einmal einen Warschauer, Waremme ist bloß ein Zwischenfall . . . Und er flüsterte den Namen leise

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