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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Einzelheiten versehen wie in einer russischen Erzählung. Dabei kam aber doch nur ein Mischblut zustande, ich wollte aber Vollblut sein, und indem ich einen heimlichen Ehebruch mit einem schlesischen Rittergutsbesitzer dazudichtete, schaltete ich den jüdischen Vater, der inzwischen auch das Zeitliche gesegnet hatte, bei meiner Erzeugung eigenmächtig aus. Es war kein Wagnis weiter. Die Natur hatte mich begünstigt, ich war blond, unverfälscht germanenblond (er lachte wieder unangenehm), mein Gesichtsschnitt, Sie können es nicht leugnen, ist unorientalisch, erinnerte schon in meiner Jugend an den bäurischen Typus bei uns. Abgesehen davon, der Wille formt das Antlitz. In der Prima des Gymnasiums führte ich bereits den Namen Waremme. Durch Adoption. Mein Adoptivvater war katholischer Schriftsteller, Traktätchenverfasser, Agent in dunklen Geschäften und Hetzapostel, er war völlig närrisch mit mir, er hielt mich für ein Genie. Vielleicht hatte er so unrecht nicht. Damals war ich's vielleicht. Jedenfalls verstand ich es, die Menschen daran glauben zu machen. Nicht weil ich's erlistet hätte, denken Sie das nicht, ich hatte die Welt in der Faust und modelte sie mir wie ein Stück Wachs. Nie habe ich um Menschen geworben. Aber bis zu einem gewissen Einschnitt in meinem Leben hatte ich unbedingte Gewalt über alle, die in meinen Kreis traten, ich lernte Menschen beherrschen, eine Wollust ohnegleichen, eine Kunst, die geübt sein will. Der erwähnte Namenswechsel geschah unter dem Protektorat eines Domherrn und mit Hilfe eines gewiegten Advokaten. Daß Taufe und Übertritt zur Kirche damit verbunden waren, versteht sich. Ich hatte dann freien Weg vor mir. Sagten Sie etwas, Mohl? Ich dachte, Sie sagten etwas. Freien Weg, so ist es. Unsichtbare Hände ebneten ihn. Die Universitätsjahre, Breslau, Jena, Freiburg, immer von Osten nach Westen, lauter Triumphstationen. Ja, von Osten nach Westen, immer weiter, von der Tiefe in die Höhe, dann wieder in die Tiefe, die allertiefste Tiefe: von Osten nach Westen wie die Sonne. Aber ich schweife wieder ab. Ich lebte sorgenlos, mein Vater hatte mir zwar so gut wie nichts hinterlassen, aber Mittel flossen mir reichlich zu, glänzende Empfehlungen öffneten mir alle Türen, ich wurde Mitglied exklusiver Verbindungen, ich sprach mit gefürchteten Würdenträgern wie mit meinen Vettern, und ich legte mich dabei nicht auf die Bärenhaut, Mohl, in keiner Weise. Rabiater Fleiß ist ja das Erbteil meiner Rasse, ich wußte nicht wohin mit all den Kräften in mir, Kräften aus unterirdischen Strömen, aus dem unverbrauchten Vorrat von Geschlechtern, ich fühlte mich zu merkwürdigen Dingen berufen, ich war meinen Tagen nicht feind, ah, in keiner Weise, der Philosoph Waremme beflügelte den Dichter Waremme, dieser den geistigen Schätzeheber, der Mittler zwischen den Menschen den Führer, dieser wieder den Politiker, und da zeigte sich das Ziel, schöpferische Politik, dazu fühlt ich mich berufen, die Idee eines verwandelten Europa, einer kontinentalen Einheit unter deutscher, deutsch-römischer Hegemonie enthusiasmierte mich, ah, was für Träume! rasende Träume! Ich wollte mich natürlich an kein Amt binden, ich schlug die lockendsten Angebote aus, es war mir alles zu gering, ich hatte Angst, mein Stern würde verlöschen, wenn ich ihn als Lampe benützte, aber dann, mitten im Fluge, kam der Sturz. Im übermächtigsten Flug der gräßlichste Sturz. Aber die Katastrophe hatte eine sonderbare Logik in sich, eine unheimliche Logik, ich hatte sie nicht sehen wollen, ich glaubte, ihr trotzen zu können, ich . . . aber zum Teufel, Mohl, Sie lassen mich da schwatzen, schauen mich an wie der Hungrige die Butterstulle . . . ich glaube, es ist verdammt spät geworden . . . auf, auf! . . .«
    5

    Es war nicht sehr spät, zehn Uhr. Sie legten den Weg schweigend zurück. An der Usedomstraße wollte Warschauer den Knaben verabschieden. Etzel bat, noch mit hinaufkommen zu dürfen. Er sei nicht müde, so wenig müde, daß er sich vor dem Bett fürchte. Warschauer lachte, mehr im Magen als im Gesicht. »Verspekuliert, lieber Mohl«, knurrte er, »heut gibt's keine Geschichten mehr. Warschauer und Companie schließen das Büro.« Er steckte den Schlüssel in die Haustüre. Etzel hatte die Empfindung: Jetzt darfst du nicht lockerlassen, sonst ist alles hin, morgen ist das Aufgetaute wieder zugefroren. Mit Schrecken dachte er an sein schwindendes kleines Kapital, es wurde trotz sorgsamster Sparsamkeit

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