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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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vor sich hin. Warschauer nickte. »Ja«, bestätigte er, »Georg Warschauer, Sohn jüdischer Eltern aus Thorn. Damit Sie es genau wissen, Freund Mohl. Und darüber wäre mancherlei zu sagen.«
    Er schien aber für jetzt keine Lust dazu zu haben, wie wenn ihn der Raum störte oder die frühe Nachmittagsstunde, doch dünkte es Etzel, als sei er nah daran und müsse sich innerlich nur noch lockern. »Wir wollen einen Bummel machen, kleiner Mohl«, sagte er, »das Wetter ist schön, wir wollen uns ein wenig das Leben ansehen.« – »Mir ist's recht«, antwortete Etzel, »aber beim Bummeln wird's nicht bleiben, zuletzt werden wir doch wieder in einer Konditorei landen.« – Warschauer meckerte. »Naja, ich weiß eine, wo es nicht so stumpfsinnig ist wie da drüben in der Rheinsberger Straße, auch nicht weit, neben dem Zehdenicker Kasino, da spielt um fünf, heut ist Sonnabend, wie? da spielt die Jazzmusik.« Etzel war's zufrieden, obwohl ihm der Sinn nicht nach Jazzmusik stand, aber da er Warschauers Vorliebe dafür kannte und ihn nicht mißgelaunt machen wollte, ging er mit. Sie saßen anderthalb Stunden in wüstem Trubel, Tisch an Tisch mit Kleinbürgerinnen, Vorstadtdirnen, kleinen Beamten, Ladenschwengeln und Professionaltänzern von anrüchiger Eleganz, geschminkt und grausig abgelebt. Warschauer war vergnügt, das Drehen, Schleifen, Schieben, Sichwinden der Tanzpaare, die erhitzten Gesichter im Dämmerdunst, besonders aber das Schmettern, Quietschen und Heulen der Instrumente regte ihn geradezu auf vor Wonne. Einmal packte er Etzel beim Handgelenk und raunte ihm zu: »Junge, so ein Saxophon ist unbezahlbar. Das wiegt eine dreibändige Kulturgeschichte auf. Schauen Sie sich den Mann beim Schlagwerk an, Mohl, schaun Sie ihn an! Sieht er nicht aus wie ein richtiger Torquemada? Grausam, finster, fanatisch –? Herrliches Exemplar, bestimmt hat er als kleiner Junge Maikäfern die Beine ausgerissen und Katzen die Schwänze geröstet.« – »Sehr möglich, aber was begeistert Sie daran so?« fragte Etzel kühl. Warschauer tätschelte seine Hand. »Biologisch, rein forschungsmäßig«, versicherte er mit hochgezogenen Brauen. »Kennen Sie die junge Dame dort?« unterbrach er sich und wies mit dem Kinn auf ein hageres, unhübsches Mädchen, das an einem der Nebentische aufgestanden war und Etzel dreist fixierte. Es war Melitta Schneevogt. Sie erhob warnend den Finger, als wolle sie sagen: Jetzt hab ich dich, Duckmäuser. Etzel nickte ihr kollegial zu, er bemerkte, daß ihre Haare kurzgeschnitten waren, als er sie zuletzt gesehen, hatte sie noch eine Frisur getragen. Mit der geht was vor, auf die sollte man achtgeben, fuhr es ihm durch den Kopf, doch vergaß er es sofort.
    Es dämmerte schon, als sie aufbrachen, in der Gegend des Senefelder Platzes war Feuerlärm, bald gewahrten sie braunrote Flammen, die zwischen den Straßenschluchten hochschlugen. Leute fingen an zu rennen, berittene Schupo sprengte vorüber. Eine Möbelfabrik brannte. Sie strichen eine Weile durch die benachbarten Straßen, hörten zwischen den Signalen der Löschmannschaften das Knallen und Prasseln des Feuers, dann wurde das Gewühl zu bedrohlich; bei der Schröderstraße kamen sie zu einer Parkanlage, da war es fast menschenleer. Sie setzten sich auf eine Bank, durch die Kronen der Linden schimmerten purpurne Funkenschleier. Ein Hund schlich lautlos vorbei, kehrte um, blieb vor ihnen stehen, schnupperte erwartungsvoll und verschwand wieder. Warschauer sagte: »Also das mit dem Namen, das will ich Ihnen erklären . . .«
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    »Richtig, mit dem Namen«, rief Etzel, als hätte er die ganze Zeit über nicht mehr daran gedacht. Er setzte sich seitlings zu Warschauer hin, um besser zu hören und, da es ziemlich finster war, besser zu sehen. »Der Name ist natürlich das wenigste«, fuhr Warschauer fort, »ein Schlüssel, freilich einer zu besonderen Türen. Haben Sie mit Juden verkehrt, Mohl?« – »Und ob. Bei uns gibt's Juden die Menge.« – »Hatten Sie jüdische Kameraden?« – »Auch.« – »Standen gut mit ihnen?« – »Ganz gut.« – »Also keine prinzipielle Gegnerschaft?« – Etzel schüttelte den Kopf. Er kannte das, die prinzipielle Gegnerschaft, aber er hatte sie sich nicht zu eigen gemacht. – »Keine elterlichen Anweisungen, Verbote und dergleichen?« – »N– nein . . .« – »Das klingt zögernd. Also doch?« – »Manchmal. Hab mich aber nicht drum gekümmert. Wenn sich's um nette Kerle gehandelt hat, hab ich mich nicht drum

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