Der Fall Maurizius
Sachen natürlich, denen man die Massenherstellung schwer ansieht. Kenner sind ja selten, und man muß schon Pech haben, wenn man sie nicht hinters Licht führen kann. Die Kunst? Edelbetrieb. Die Arbeit? Adelt bekanntlich. Nur vor das Vergnügen haben die Götter den Schweiß gesetzt. Und vor die Liebe den Einsatz eines Herzens, das . . . nichts einzusetzen hat. Die Null in der Null.« Er lachte gallig und seltsam dröhnend auf. – »Ich kann trotzdem nicht begreifen«, wagte Etzel, der in grüblerischer Haltung an der Schiebetür lehnte, einzuwenden, »grade weil Sie so über ihn urteilen, will mir's nicht in den Kopf, daß sich da ein Gegensatz bilden konnte, zwischen Ihnen und ihm. Wie war denn das möglich? Der Mühelose . . . ja. Aber warum denn gerade er? Hundert andere, so scheint mir's wenigstens, hätten es ebensogut sein können. Da muß doch . . . jetzt sag ich was, Professor, aber fahren Sie mich nicht an . . .« – »Nun?« – »Ich meine, da muß doch . . . darf ich's sagen?« – »Keine Angst, Mohlchen. Was muß da doch . . .?« – »Da muß doch die Fräulein Jahn schuld gewesen sein. Schuld . . . das klingt so dumm . . . Veranlassung mein ich . . .« Warschauer hatte sein undeutbares Grinsen. »Oh! is that so?« travestierte er die amerikanische Floskel. »I wonder. Clever boy. Never in my life I saw such a clever boy.«
Er nahm sein hahnenhaftes Marschieren wieder auf.
Elftes Kapitel
1
Langes Schweigen. Warschauer schien mit sich zu Rate zu gehn. Vermutlich machte ihn die Kühnheit des Knaben betroffen. Was sollte er dahinter suchen? Seinem erfahrenen Blick konnte die eigentümliche Unschuld nicht verborgen bleiben, mit der der Junge nun schon zum zweitenmal jenen Namen ausgesprochen hatte. Ahnungslos im Grunde, bei aller vorgeblichen Sachkenntnis und kuriosen Trockenheit. Wie man sich auf eine interessante Figur in einem Theaterstück bezieht, deren Berühmtheit vorausgesetzt werden darf. Oder wie ein Detektiv zuerst durch allerlei Ablenkungen die Aufmerksamkeit seines Opfers irreführt, um ihm dann mit einstudierter Kälte das schlagendste Indiz ins Gesicht zu schleudern. Putzig und ridikül. Als ob er, Warschauer, etwas zu fürchten hätte. Er hatte nicht das geringste zu fürchten. Daß er sich in Berlin niedergelassen, um eine Existenz von beinahe schattenhafter Verborgenheit zu führen, beruhte auf seinem freien Entschluß, er stand nicht unter Verfolgung, er hatte keinen Grund, Nachforschungen zu scheuen, es lag nichts gegen ihn vor. Das Recht, seinen ursprünglichen Namen wieder anzunehmen, hatte er »drüben« erworben, was ihn dazu bestimmt hatte, hing aufs engste mit der Katastrophe zusammen, die er als seinen »europäischen Bankrott« bezeichnete (der aber nur das Vorspiel zu einem viel größeren Bankrott gewesen sei). Er könne, setzte er lebhaft auseinander, sein bisheriges Leben in dieser Hinsicht geradezu in vier deutlich voneinander geschiedene Perioden einteilen: die jüdische, die christlich-deutsche, die überseeisch-internationale und die gegenwärtige, für die er einen passenden Titel noch nicht habe. Vielleicht falle seinem liebenswürdigen Freund Mohl einer ein. Die Umkehr etwa. Die regenerative Umkehr. Es sei außerordentlich merkwürdig. Er empfehle sich diversen modernen Schriftstellern als Modell für einen Proteus. Er sei sogar in der Lage, ihnen Aufschlüsse über die heutige Weltverfassung zu geben, mit denen sie ihr Glück machen könnten. Er selbst habe in dem Punkt resigniert. Es lohne nicht. Nicht einmal zu einer der üblichen Autobiographien könne er sich entschließen. Fünfundzwanzigtausend Druckschriften erschienen jährlich in Deutschland, es sei verdammt lächerlich, Nummer fünfundzwanzigtausendeins hinzuzufügen. Außerdem würde man ihn als ein Monstrum in Acht und Bann tun, als einen Phantasten, der die Apokalypse um ihre Schrecken bringen wolle.
In der Art faselte er noch eine Weile, während Etzel ungeduldig von einem Bein aufs andere trat, nahm die Kleiderbürste vom Nagel und fing an, mit beflissener Umständlichkeit seinen Rock abzubürsten. Dabei schielte er über die Ränder der schwarzen Brillengläser boshaft zu dem Knaben hinüber, wechselte plötzlich das Thema und erging sich in Sticheleien über die Anspielung auf Anna Jahn. »Das war schlechterdings ein Schuß in den Rücken, zum Glück aus einem ungeladenen Revolver, mein Junge«, spottete er, »taktlos, indiskret. Ist es anständig, so mit der Tür ins Haus zu fallen?« –
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