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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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betrieben habe wie einer, der fünfzig Leben hat. Einige Freunde machten sich über mich lustig, sie behaupteten, ich sähe Helena in jedem Weibe. Unsinn. Man muß vor vielen Altären gekniet haben, um zu wissen, wie unerreichbar Gott oder Göttin sind, gerade wenn man vergeblich geopfert hat. Als die richtige Helena kam, zeigte sich's freilich, oh, mein prophetischer Rochow, daß sie diesmal wirklich die Tochter der Nemesis war.«
    Er wanderte eine Weile schweigend auf und ab, Etzels Blicke waren auf drei Schaben geheftet, die hintereinander schwarz und ekel über die Dielen spazierten. Doch er gewahrte sie nicht, er lauschte nur. »Was sich zwischen uns ereignete«, fuhr Warschauer fort, »ist nicht weiter von Belang. In diesem Zusammenhang nicht. Das Pragmatische spielt keine Rolle. Man verliert dabei nur den großen Gesichtspunkt und erniedrigt das Erlebnis zum Roman (faule Ausrede, dachte Etzel, jetzt verschweigt er das Wichtige, und in der Tat geriet Warschauer einige Minuten lang in unsicheres Stottern). Entscheidend war das: Ich kämpfte um sie, jedoch sie . . . sie kämpfte um . . . ja, um was . . . um ein erdenfernes Bild von sich. Wenn sie noch um sich selber gekämpft hätte, ja dann . . . aber der Ruf, und was man seiner Ehre schuldig war, und daß man sich aufbewahren müsse . . . gottlos, gottlos, Moral der feinen Kreise, Konserven-Moral, gottlos. Ich warf ihr meine Zeit zu Füßen, verschwenderisch wie ein Narr, ein Weib versteht nicht, was das ist, die Zeit eines Mannes. Sie schluckt sie wie Limonade, soviel man ihr davon gibt, verschlingt sie, und wenn sie einen Hut probieren geht, hat sie ihrerseits keine übrig. Sie hatte Talente, es hätte was aus ihr werden können, aber sie hatte keine Ehrfurcht und keinen Glauben, außer daß sie jeden Sonntag zur Beichte ging, aber Menschensendung war ihr nichts. Man hätte sie auseinanderreißen müssen . . . sie war zugeschlossen wie eine junge Nuß. Ich . . . nun ja . . . ich war kein Toggenburg, kein Adorant . . . was sollt ich tun? (er schlug sich herumgehend mit der flachen Hand dröhnend auf die Brust), was sollt ich tun? Ich wußte wohl, daß die zerschlagene Schale mir die Seele noch nicht öffnete, aber es ist da eine Rachsucht . . . Ich rang sie nieder und war der Geschlagene. Ich war vielleicht verrückt. Ich beging die größten Dummheiten. Ich log ihr vor, ich sei der Sohn eines regierenden Fürsten. Dabei verzehnfachte ich meine Kraft und arbeitete wie ein Kuli. Aber diese Art Leidenschaft war ihr unheimlich. Schließlich war sie ein deutsches Mädchen, verstehen Sie. Es war zuviel für sie, sie steckte in Konventionen wie in einem eisernen Korsett. Ich war ihr nicht geheuer. Sie spürte das fremde Blut . . . ihr graute, sie war behext, und es graute ihr ein wenig. Je mehr Licht ich über sie ausgoß, je dunkler wurde ihr Gemüt. Enträtseln Sie das. Nicht hingerissen werden wollen, um Gottes willen nicht, sich beugen schließlich, dulden ja . . . sie wußte nicht, daß sie mich binden konnte, wenn sie sich losließ, daß ich Wurzel schlagen würde, wenn sie mir den Boden bereitete, aber das faßte sie nicht, die deutsche Helena, das ging über ihren Horizont. Es kam zum Bruch. Sie irrte von Stadt zu Stadt bis sie von der Schwester gerufen wurde. Und was geschah? Dort harrte ihrer eine Mission nach ihrem Sinn. Ein mutterloses Kind war zu versorgen, ein lyrischer Schwächling war zu bölzen, der keine geöffnete Seele verlangte, denn seine war ja von jeher offen wie eine Wirtshaustür, er brauchte ein bißchen Märtyrer-Nimbus, ein bißchen tantenhaften Zuspruch, ein bißchen Bewunderung, man konnte die Gouvernante spielen, die Unnahbare, die Mittlerin, die Rolle war einem auf den Leib geschrieben, man wurde angebetet, man riskierte nichts dabei. Ohne Frage hätten sie ein sanftes und anständiges Glück beieinander gefunden, hätten in einer jener Ehen gelebt, wo der Mann ein beamteter Lakai und die Frau, Gott mag wissen, wie es zugeht, mit vierzig Jahren noch Jungfrau ist, auch wenn sie ein halbes Dutzend Kinder geboren hat, ohne Frage wär es so gekommen, wenn Maurizius noch frei gewesen wäre. So ging's unaufhaltsam in die bürgerliche Stickluft-Tragik hinunter, wo die Hemmungen, Verdrängungen und Komplexe wie ansteckende Hautausschläge gedeihen, Kampf zwischen Liebe und Pflicht, Rücksicht auf geheiligte Bande, Furcht vor Klatsch und Verleumdung, feiges Spiel mit dem Feuer, Rivalität zwischen Schwestern und heimlicher Briefwechsel,

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