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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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ließ Etzels Hände fahren und stand auf, ohne die etwas bestürzte Miene des Knaben zu beachten.
    2

    Er ging zum Fenster, öffnete es, murmelte: »Der Himmel ist noch immer rot da drüben«, schloß das Fenster wieder und fuhr fort: »Was denken Sie denn eigentlich dabei, wenn Sie von Anna Jahn reden, kleiner Mohl? Ist Ihnen nicht ein bißchen bange in der Fülle Ihrer Ignoranz? Es kommt mir vor, wie wenn ein Säugling über den Andromeda-Nebel schwadroniert. Sie entschuldigen, aber da sind Dimensionen und Verhältnisse, die sich Ihrer Beurteilung entziehen. Ich glaube auch nicht, daß ich Ihnen in dieser Hinsicht behilflich sein kann. Ich möchte es gern, weshalb sollte man einem so begabten Jüngling nicht einige Winke über psychologische Labyrinthe geben, Winke, die ihm einmal nützlich werden können? Aber bei all Ihrer Reife, Mohl, es ist ja erstaunlich, mit was für Problemen Sie sich ungeniert befassen . . . Ärgern Sie sich nicht, ich sehe, Sie ärgern sich schon wieder über mich, ich meine es vollkommen ernst, und nicht nur das, Ihre Arglosigkeit rührt mich, ich wünschte, ich wäre imstand, Ihre etwas gar zu . . . na, sagen wir rührenden Vorstellungen mit der Wirklichkeit zu befreunden, nämlich um meinetwillen. Wie steh ich denn da, Bösewicht und Lotterbube, Wurm aus Kabale und Liebe, aber ich weiß nicht, ich weiß nicht, man müßte ein Tolstoi sein, um mit Worten . . . Vielleicht interessiert es Sie, zu erfahren, daß ich der Anna Jahn schon begegnet bin, als sie ihren künftigen Schwager noch gar nicht kannte . . . das wissen Sie sowieso? Ah, bravo. Sie war das erste weibliche Wesen, das . . . nun, wie soll man es ausdrücken, eine Erscheinung, vor der man haltmachen mußte. Ich erinnere mich noch gut des Abends, an dem ich sie zum erstenmal sah, es war eine kleine Gesellschaft bei einer Frau von Hardenberg, sie stand neben einer anderthalb Meter hohen chinesischer Vase und hatte den Kopf leicht auf den Arm gestützt, siebzehn Jahre alt, aber die Natur hatte nichts mehr an ihr zu vollenden. Es war alles schon wunderbar fertig, unheimlich fertig, mein Eindruck war: Die Person ist so stolz, daß sie unter Umständen an ihrem Stolz verbluten wird. Nun, was für eine Eigenschaft war das bei ihr: Stolz? Man spricht so ein Wort aus und vergißt, daß es tausend Bedeutungen hat, von der plattesten bis zur tiefsten. Ich habe nur einen einzigen Menschen getroffen, dem Stolz zum Schicksal wurde, das war sie. Ich war jedenfalls in höchstem Maß . . . gefesselt, und es hatte seine Folgen. In den Lehren der indischen Sikhs heißt es: Wenn ein Mann getrennt ist von seiner Seele und dem Verlangen seiner Seele, bleibt er nicht auf der Straße stehn, um zu spielen, sondern beschleunigt seine Wanderung. Ich denke, Sie verstehen. Es war ein Fatum. Bei den Menschen scheint es umgekehrt zu sein wie in der Chemie, wo die zusammengesetzten Elemente reaktionsfähiger sind als die einfachen. In ihr war die Welt inkarniert, in die ich mich bis in die Nervenfasern erst hatte hineinverwandeln müssen. Erst durch ihre Existenz begriff ich den Sinn der meinen. So war das. Wir verstanden uns sehr gut. Das heißt, sie hörte mir sehr gut zu. Ich habe niemals, in meinem ganzen Leben nicht, selbst bei Ihnen nicht, kleiner Mohl, ein so aufmerksames, so atemlos aufmerksames Antlitz mir zugewandt gesehen. In meinen jungen Jahren konnte ich die Menschen im Gespräch mit fortreißen, ich konnte sie maßlos entflammen, ich konnte, ah, was konnt ich nicht? ihnen das eigene Ich neu schenken. Da war kein Unterschied zwischen Männern und Frauen. Kein Widerstand mehr, sie sahen mit meinen Augen, sie fühlten, was ich sie fühlen machte. Sie bekamen ein mutiges Herz, sie fingen an, die Gleichnisrede zu verstehen, denn die höhere Welt wird nur durch das Gleichnis erschlossen. Mir war Mitteilung die andere Natur, die eigentliche Natur, wie der Pulsschlag, wo ich mich mitteilen konnte, identifizierte ich mich schon, es war die sublimste Form der Liebe, Männern wie Frauen gegenüber, unermüdliches Werben, den andern aus sich herauszutreiben, aus allen Grenzen und Reserven, ich selber hatte ja keine, weder Grenzen noch Reserven, das war es eben, das müssen Sie nach allem jetzt begreifen. Was die Frauen betrifft, ich konnte sie nicht entbehren. Sie hatten es leicht mit mir. Ich war Zunder. Ich wog nie ab, was für mich auf dem Spiel stand. Ich war nicht sparsam mit meiner Person, ich kann sogar ruhig sagen, daß ich eine Verschwendung damit

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