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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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für Position. Ich hatte mich glücklich in ihr eingebaut, ich hatte mein Gefühl nach ihr gestimmt, ich hatte an den Menschen, die ich brauchte, eine Arbeit vollbracht, notabene, nur um sie von mir zu überzeugen, nur um sie an mich glauben zu machen, eine Arbeit, die ich noch zehn Jahre nachher in allen Nerven spürte. Man hat mir von Salvini erzählt, einem genialen Schauspieler. Sie haben vielleicht von ihm gehört, daß er nach jeder großen Rolle einen Kollaps erlitten hat. Einer meiner Freunde, ein Theaterregisseur, war mal Zeuge, wie er nach dem fünften Akt von Othello hinter den Kulissen bewußtlos zusammenbrach und ein Arzt sich anderthalb Stunden lang bemühte, ihn wieder ins Leben zu rufen. Es gibt, selbstredend, solche und solche Schauspieler. Manche sterben einen herzzerreißenden Tod auf der Bühne, und wenn der Vorhang fällt, reißen sie Zoten. Sie schaun mich wieder mal so naiv verwundert an, kleiner Mohl, das Gleichnis mit dem Schauspieler macht Sie offenbar stutzig. Aber ich war ein Schauspieler, ich mußte spielen, und wenn ich nicht mit vollendeter Kunst, mit der letzten Hingabe spielte, so konnt ich einpacken. Schauspieler: Stoßen Sie sich nicht an dem Wort. Nehmen Sie es nicht in einem plebejischen Sinn, vergessen Sie nicht, daß es ein Jahrhundert her ist, daß Goethe den Wilhelm Meister und das Gedicht auf Miedings Tod geschrieben hat, und mehr als hundertfünfzig Jahre seit Lichtenbergs Briefen über Garrick. Seitdem ist der Schauspieler zum Angestellten von Industriekonzernen herabgesunken und seine Figur eines der Pappendeckelideale des Kleinbürgertums geworden. Das nebenbei. Ich erinnere mich, daß ich einmal eine ganze Nacht lang mit Maurizius darüber debattierte. Er verstand mich nicht. Er war von einer Dummheit in dem Punkt, zum Tollwerden. Natürlich war ich ein Schauspieler, natürlich. Und er war keiner, o Gott, wie war er keiner! Daß ich es war, hat mich ruiniert, daß er es nicht war, hat ihn ruiniert . . .« – »Wieso?« fragte Etzel atemlos vor Neugier, »erklären Sie mir vor allem, wieso waren Sie ein Schauspieler?« Unwillkürlich machte er ein paar Schritte hinter dem stelzenden Warschauer her, was so lächerlich aussah wie die bekannten Karikaturen von Eisele und Beisele. »Jede ungewöhnliche Geistes- und Charakterleistung beruht auf einer sublimierten Verwandlungskunst«, dozierte Warschauer. »Halten Sie sich doch vor Augen, welche Wissensgebiete ich zu beherrschen hatte, die heterogensten Disziplinen, Philosophie, Theologie, Nationalökonomie, Geschichte, Sprachwissenschaften, Staatsrechtslehre, jede von innen her, von ihrer Idee aus; daß ich von vornherein entschlossen war, mich keiner von ihnen als Melkkuh und Amt- und Titelfabrik zu bedienen, aus wohlerwogenen Gründen, wie ich Ihnen bereits angedeutet, da ich ja höher hinauswollte; daß ich infolgedessen lavieren, nicht nur meine eigene Person stets an der richtigen Stelle zur stärksten Wirkung bringen, sondern auch die Bewunderer, die Anhänger, die Boten, die Proselytenmacher mit genauester Berechnung ihrer Kräfte und Talente unterrichten, verteilen, anfeuern mußte, daß ich dabei beständig in einem Netz verwickelter Interessen stand wie ein Ordensgeneral, denn nach meinen damaligen Begriffen ging es um was Ungeheures. Eine mächtige Partei zählte auf mich, der Kaiser war auf meine Person aufmerksam gemacht worden, der Vatikan schickte seine stillen Unterhändler zu mir, und bedenken Sie nun, last not least, daß ich bei alledem noch dafür zu sorgen hatte, meine frühen Spuren zu verwischen, meinen Ursprung zu verschleiern, daß ich sozusagen immer einen dunklen, metaphysischen Rest von schlechtem Gewissen in mir zu beseitigen hatte, der meine reine menschliche Unbefangenheit mir selbst zuletzt als das Produkt einer Anstrengung, wenn nicht einer Qual verdächtigte. Summieren Sie das alles und leugnen Sie dann, daß es nichts Geringeres war als ein Tanz auf einer Turmspitze . . . Jener hingegen . . . keine Ahnung! im warmen Nest. Keinen Begriff. Von alleine entstanden. Die Lilie auf dem Feld. Der Mühelose. Leonhart der Mühelose. Hatte er nötig, zu spielen? Gab es für ihn eine Rolle? Was wußte er von dem Stück, in dem er auftrat, da er doch gar nicht ›auftrat‹, sondern sich ›gehen ließ‹? Gehen ließ! Der Mühelose – ließ sich gehen. Hatte seinen Platz an der Table d'hôte, sein Billett lag immer an der Kassa. Die Wissenschaft? Ein Basar, aus dem man sich versorgt. Mit kostspieligen

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