Der Fall Maurizius
nur gezählt und nicht gerechnet. Und wie sie sagt, daß Frauen wie die Spiegel sind, drin sie sich beschauen und so leicht zerbrechen, wie sie Bilder geben. Und dann ihre leidenschaftliche Empörung: Kleine Ehre, um ihr viel zu traun, und niederträchtige Absicht . . . Täuschung, Täuschung, ich mach dich ruchbar, Angelo! Und wie er antwortet: Wer wird Euch glauben, Isabella? Mein lautrer Ruf, die Strenge meines Lebens, mein Zeugnis wider Euch, mein Rang im Staat wird die Bezichtigung so überwiegen, daß Ihr erstickt in Eurem eignen Wort und der Verleumdung Dunst. Und als er zu der Stelle kam . . . wie heißt es nur . . . seit zwanzig Jahren, seit jenem Tag hab ich die Worte nicht mehr gehört und nicht gelesen, aber keine Zeit kann das wieder auslöschen . . ., als er mit einer Wildheit und einem Flammentrotz, daß es uns alle überlief, zu der Stelle kam: Ich fing es an, und jetzt entzügl ich meiner Sinne Feuer, zeigt Euch gehorsam meiner heißen Lust . . . laßt alle Sprödigkeit und . . . falsche Scham oder so . . . die, was sie heischt, verbannt, und bietet Euern Körper meinem Wunsch . . ., da schrien plötzlich einige Damen im Hintergrund des Zimmers auf, man hörte das Geklirr von Tellern und Metall, Panik entstand, ich schob mich durch das Gedränge, ich gewahrte Anna, die auf den Teppich hingesunken war, im Fallen einen der Serviertische umgeworfen hatte und zwischen Porzellanscherben, verschüttetem Tee und verstreutem Backwerk dalag, mit den Gliedern zuckte und die Augen verdrehte. Das war der erste von den Anfällen, deren Zeuge ich wurde, der zweite ereignete sich sechs oder sieben Monate später in ihrer Wohnung nach dem Auftritt mit Elli. Wir schafften sie ins Schlafzimmer der Hausfrau, auch Waremme bemühte sich um sie, erst nach Stunden war sie so weit, daß man sie heimbringen konnte. Am Abend überredete mich Waremme, mit ihm in eine Weinstube zu gehen, ich ließ mich nicht lange bitten, mir war's, als ob da etwas aufzuklären wäre, was nur er aufklären konnte, denn ich fühlte einen rätselhaften Zusammenhang zwischen der Rezitation und dem, was mit Anna geschehen war. Er bestellte eine Flasche Champagner und trank sie allein aus, dann eine zweite, rauchte dabei eine Zigarette nach der andern; um mein verstörtes Gesicht und die gestammelten Vermutungen, die ich von Zeit zu Zeit von mir gab, kümmerte er sich nicht. Es war schon Mitternacht vorüber, wir waren die letzten Gäste in dem Lokal, da sagt er plötzlich, indem er sich mit der Faust an die Stirn hämmert: Barbar, der ich bin, jammervoller Dummkopf, daran nicht zu denken, es mußte ja wie ein heimtückischer Schlag aus dem Hinterhalt auf sie wirken, wo hatt ich um Himmels willen den Verstand, daß mir das passieren konnte! Ich mache große Augen. Etwas dämmert mir. Ich wußte, daß Anna eine krankhafte Antipathie gegen alles Theater, sogar gegen alle schauspielerischen Darbietungen hatte, aber es konnte doch unmöglich zu einer solchen Nervenkatastrophe führen, wenn im geselligen Kreis ein Waremme eine wunderbare dramatische Szene vortrug. Ich bemerke etwas dem Ähnliches zu Waremme, er packt mich über den Tisch hinüber beim Handgelenk, sein Gesicht wird käseweiß, er flüstert: bei Gott, nein, aber es gibt da eine schreckliche Ähnlichkeit, das Leben hat sich den infernalischen Spaß erlaubt, ihr einen Angelo in den Weg zu stellen, der sich nicht mit der frechen Forderung begnügte, sondern seinen Wunsch gleich in die Tat umsetzte, Sie begreifen . . . Ob ich begriff! Ich begriff so gut, daß ich von dem Augenblick nur noch das begriff, nur noch das im Hirn hielt, so unausdenklich es war; ich hatte das Gefühl . . . aber wozu sprech ich da von Gefühlen, die Welt war auf einmal eine Jauchegrube. Waremme sah aus wie ein Gespenst, er sagte, ich solle mit ihm nach Hause kommen, er könne hier nicht reden, er könne nicht allein sein, die Geschichte habe ihn zu stark hergenommen, alles sei wieder in Fluß geraten, er müsse sich einem Freunde mitteilen, zu lange habe er's für sich behalten, es zersprenge ihm die Seele. Und dergleichen mehr. Ich begleitete ihn also in seine Wohnung, er tischte Schnäpse auf, trank eine Viertelflasche Kognak und schilderte unter unablässigem Auf- und Abmarschieren die näheren Umstände, wobei er immer nur von Angelo und Isabella sprach. Ich hatte von der Liebhaberaufführung in Köln gehört, bei der sich Anna hervorgetan, ich wußte aber nicht, daß Waremme dabei als künstlerischer Berater
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