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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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mitgewirkt hatte; er erwähnte dies nur flüchtig, als sei es von keinem Belang. Man hatte ein altfranzösisches Schäferstück mit alter Musik einstudiert. Anna gab die Rolle eines als Pierrot verkleideten Edelfräuleins. Nach der Vorstellung ließ sich nun dieser Mensch . . . dieser mysteriöse Angelo bei ihr in der Garderobe melden, in einer Sache von unaufschiebbarer Wichtigkeit, ließ er sagen. Sie empfing ihn. Es war schon ziemlich spät. Anna hatte nach ihrer Gewohnheit sehr lang zum Umkleiden gebraucht, die Theaterarbeiter hatten sich entfernt, die Damen und Herren, die im Stück mitgespielt, waren gleichfalls weggegangen, das Dienstmädchen, das Anna nach Hause begleiten sollte, wartete vor der Bühnentüre, sie war also mit diesem Angelo, der ihr freilich nicht ganz fremd war, wie ich nach allem schließen konnte, in dem verödeten Haus allein, zwischen einem öden Hof und einem verödeten Korridor . . . Es fiel mir auf, wie meisterhaft er trotz seiner leidenschaftlichen Gemütswallung die Örtlichkeit, die Situation zeichnete, beinahe mit literarischer Finesse . . . warum der Besucher gerade diese Zeit für eine so niederschmetternde Kunde gewählt hatte, weiß ich nicht, es war ja alles so sonderbar zweideutig, genug, er brachte die Nachricht, daß ihr Bruder Erich in einem Gefecht in Südwestafrika gefallen war, das Telegramm war am nämlichen Tag eingetroffen. Diesen Bruder hatte sie vor allen Menschen am meisten geliebt. Vielleicht war er der einzige Mensch, den sie überhaupt geliebt hatte. Es war eine sehr tiefe und ein klein wenig dunkle Beziehung. Es läßt sich denken, wie eine so unerwartete Mitteilung auf sie wirkte. Ob er, dieser Angelo, speziell mit der Botschaft beauftragt war und was ihn dazu legitimierte, darüber äußerte sich Waremme nicht, nur daß er sie zu trösten, zu beschwichtigen getrachtet. Es bleibt nicht bei den Tröstungen, er wirft sozusagen die Maske ab, er wird stürmisch, eine so verführerische Gelegenheit findet sich nicht so bald wieder, ihre Weigerung achtet er für nichts, ihr Widerstand reizt ihn zum äußersten, und so fällt sie ihm zum Opfer. Während Waremme erzählt, ist mir zumut, als müßt ich mich auf der Stelle aufmachen und die ganze Erde nach der Bestie absuchen, um sie totzuschlagen, er aber hat sich in solchen Schmerz hineingesteigert, daß er, kaum zu Ende, sich auf den Lehnstuhl wirft und in ein schauerlich heulendes Weinen ausbricht. Nachdem er sich beruhigt hat, verläßt er das Zimmer, ich höre ihn in seinem Badezimmer hantieren; er hat sich unter die Dusche gestellt und kommt nach einer Viertelstunde in einem eleganten Schlafanzug zurück. Merkwürdig. Auch daß er sich plötzlich gefaßt und überlegen zeigt und mich aufmerksam macht, die geringste Achtlosigkeit, die ich Anna gegenüber beginge, könne eine schwere Schädigung ihrer Gesundheit im Gefolge haben. Außer ihm sei ich jetzt der einzige Mitwisser des traurigen Geheimnisses. Das binde und verpflichte uns gegenseitig. Ihm habe sich Anna in einem Moment letzter Verzweiflung anvertraut, wo sie bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte, es sei ihm gelungen, sie aufzurichten, gewisse moralische Vorurteile und Velleitäten in ihr zu zerstreuen, der Missetäter hatte sich inzwischen aus dem Staub gemacht, hundert Gründe, die ihn verhinderten, wieder auf der Bildfläche zu erscheinen. Objektiv betrachtet sei es ja nicht viel anders gewesen, als wenn ein Mensch von einem toll gewordenen Gaul niedergestoßen und blutend von der Unfallstätte getragen wird, subjektiv freilich, hier schien ihn die Erinnerung von neuem zu überwältigen, und seine Stimme vibrierte, subjektiv, das heiße, wenn man die verletzliche Zartheit eines hohen Phantasie- und Herzensbildes dagegenhalte, könne man sich so leicht nicht abfinden, ihm jedenfalls liege es wie tragische Last auf der Seele, und nur, weil er sich so sehr als Freund fühle und weil er wisse, daß einzig Freundschaft der Boden sei, in dem die beschädigte Wurzel frische Säfte gewinnen könne, nur darum lasse er nicht von ihr. Das klang eigentümlich tendenziös oder warnend. Zum Schluß umfing er mich liebreich und sagte, so töricht sei er nicht, mich zu einem Schweigegelöbnis zu zwingen, dazu halte er zuviel von meiner Vernunft und Delikatesse, Ehrenwort und dergleichen, das gelte ihm nichts, der Zwang ergebe sich aus der Situation, die mache jedes plumpe Zupacken zum Frevel, die Fragilität dieser äußerst wunderbaren Frauensperson verlange

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