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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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wie ein Irrwisch durch das Haus fegte und nicht begriff, oh, nicht begreifen wollte, daß ich auch nur eine arme Haut war wie sie, auch nur einer, dem Gott sein Schicksal zu saufen gab . . . Es kam der Tag, wo ich mir sagte: besser, Weib, du wärst nicht, besser, du verschwändest von diesem greulichen Schauplatz. Herr, ich sage Ihnen, da erschien es mir als eine Wohltat, sie auszutilgen, denn, so sagt ich mir, ein solches Leben ist Last und Qual für die, die es lebt, und Last und Qual für die, die es mitleben müssen. Da soll es keinen Ausweg geben, keine Erlaubnis, Frieden zu schaffen? Mit dem Verbrecherwunsch auf dem Gewissen bin ich natürlich nicht schuldlos. Nein. Überhaupt, denken Sie das nicht, . . . ich bin nicht schuldlos, noch weniger bin ich unschuldig, was noch was ganz anderes wäre. Es gibt eine Stelle, wo das Leben des Menschen in der Idee zu Ende ist, was dann folgt, ist wie die Nachgeburt bei der Entbindung . . . Aber man darf sich da nicht vermessen, ich weiß, ich weiß . . . In meiner ärgsten Bedrängnis sagt ich zu Anna: Kommt das Schlimmste zum Schlimmen, so erschieß ich dich, dann mich, dann ist Ruh. Das war an dem Tag, Ende September schon, wo die ekelhafte Affäre aufkam, die Waremme mit den Studenten hatte, das schlug dem Faß den Boden aus. Anna erstickte daran fast, um die Zeit war ich ihm auch schon das viele Geld schuldig, mein eigenes Weib half mir nicht, sie kniete vor ihrem zinsenschwitzenden Kapital, um es anzubeten, es war eine Verhexung, aber war sie da noch ein lebendiger Mensch mit der lebendigen Idee vom Menschen in der Brust oder der traurige Kadaver, der einem nur noch Leben vorzappelt, wie die galvanisierte Froschleiche? Das steht abseits von meiner Schuldrechnung, ich sage Ihnen ja, ich für meine Person, ich hatte einen Strich unter die gesamte Rechnung gemacht, nur um Anna war mir leid, aber die wollte nicht sterben. Ich hab mir oft den Kopf darüber zerbrochen, warum sie sich mit so verrücktem Entsetzen gegen den Tod wehrte, es war vielleicht das fromme Kind in ihr, der Sündenglaube; ich habe auch einmal gehört, daß ausgezeichnet schöne Menschen sich von der Todesfurcht weniger frei machen können als andere, wie wenn ihnen die Schönheit eine Pflicht auferlegte, von der unsereins nichts weiß, das wird ja auch ihre Angst vor meiner Rückkehr gewesen sein. Seit ich das mit dem Erschießen gesagt, zitterte sie vor mir, damit hat sie wahrscheinlich auch Elli aufgescheucht und aus dem Haus getrieben, in der Fieberangst hat sie ihr zugeschrien: Dein Mann kommt, er will mich umbringen; etwas Derartiges muß es gewesen sein; wie ein Reh vor den Treibern muß sie durchs Haus gerannt sein, Todesfurcht in allen Knochen . . . so muß es gewesen sein . . .«
    Er preßte Daumen und Mittelfinger der Rechten an beide Schläfen. Herr von Andergast erhob sich mit seltsam bleierner Trägheit. »So . . .« murmelte, er, »also . . .« Dann, nach einer Pause, in der der Atem versickerte, aus seiner mechanisierten Kenntnis der prozessualen Vorgänge heraus, mit scheinbar sachlicher Dürre: »Und daß sie . . . daß sie vorher Klavier spielte, geschah nur, weil sie in der sinnlosen Angst nicht mehr wußte, was sie tat, meinen Sie das?« – »Schon möglich«, sagte Maurizius verschlossen. »Und dann?« forschte Herr von Andergast mit schier übermenschlicher Anstrengung, gleichmütig oder höchstens äußerlich interessiert zu erscheinen. Er zog sogar die Uhr aus der Weste, ließ aber den Deckel nicht springen, sondern schob sie langsam in die Tasche zurück. »Dann?« echote Maurizius, sandte von unten her einen hämisch-verstockten Blick zu dem Frager und zuckte die Achseln, »dann . . . da müssen Sie sich schon an Ihre Akten halten. Die können besser darüber Auskunft geben.« Aber nach einem finstern Schweigen, während die mädchenhaft kleinen Zähne nervös an der Unterlippe nagten, entpreßte sich's ihm: »Alles war ja gegen sie verschworen . . . da war kein Fluchtloch mehr . . . alle ihre Quäler dicht an ihr dran . . . das Maß war voll . . . bei keinem Einsicht und Mitleid . . . wozu hat sie auch noch den Waremme rufen müssen . . . na, der brauchte ja nur noch von fern den Hebelknopf zu drücken . . . ich, mein Gott, zu spät . . . zu spät . . .«
    Er hielt inne, mit totenbleichem Schrecken, wankte, hielt sich an der Mauer fest. Herr von Andergast schritt, mit derselben bleiernen Trägheit, auf ihn zu und fing seinen Blick. Sie sahen einander volle zwanzig Sekunden

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