Der Fall Maurizius
Windmacherei, Waremme, ich weiß, daß ich auf einem abschüssigen Weg bin, aber wenn mir Gott den Gefallen täte, Ihnen das Handwerk zu legen, wär mir leichter. Er zuckte die Achseln und erwiderte: Gott tut keinem den Gefallen, das Fatum zu korrigieren, das er für ihn bestimmt hat, ich bin auch nur ein Instrument. Sie werden zugeben, das war eine nicht alltägliche Unterhaltung, so wenig, daß sie sogar etwas von einem Kataklysma an sich hatte, es war aber auch die letzte, die ich mit ihm führte, von der mir Wort und Antwort genau im Gedächtnis verblieben ist, die andern sind im Nebel verschwommen, was wohl damit zusammenhängt, daß sich ringsherum das ganze Gefüge lockerte und es auf die Reden der einzelnen nicht mehr viel ankam.«
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Er unterbrach sich, ging wieder, mit eigentümlich schiefer Hüfte, längsseits der Zelle zum Mauerwinkel, und als er weiterredete, geschah es wie inwendig, als habe er die Anwesenheit des Oberstaatsanwalts vollständig vergessen. Manchmal stieß er Sätze nur dumpf aus sich heraus, andere blieben Fragmente. Bisweilen unterbrach er sich, um stumm zu gestikulieren, blieb zum Beispiel mit der Hand an der Stirn stehen und schüttelte eine Viertelminute lang den Kopf. Alles dies hatte etwas Unheimliches und in seiner Art Ergreifendes. Er schien Mühe zu haben, die Ereignisse auseinanderzuhalten. Besonders über den Zeitpunkt, in welchem Elli den Verlauf verhängnisvoll entscheidend beeinflußte, herrschte in seiner Erinnerung keine solche Klarheit wie über die andern Vorgänge. Des bereits von ihm erwähnten achtzehnten Mai gedenkt er abermals, es scheint ein wichtiges Datum in seiner Beziehung zu Anna zu sein. (Herr von Andergast entsinnt sich, daß die vielbedeutende Inschrift auf der Photographie, die Elli im Schreibtisch der Schwester fand, von diesem Tag datiert war.) Es liegt eine fast angstvolle Scheu darin, wie er alles vermeidet, was auf Anna ein ungünstiges Licht werfen könnte, wenn er von den Begegnungen und Unterredungen spricht, die zwischen ihnen stattgefunden haben. Herr von Andergast kann nicht umhin, sich über eine Diskussion zu wundern, die ihn wie ein abergläubisch bewahrter Petrefakt anmutet. Er hat den Eindruck, daß ihm Anna an diesem achtzehnten Mai zum ersten und einzigen Male den unmißverständlichen Beweis einer Neigung gegeben hat, für die er ihr sonst nur spärliche und höchst fragwürdige Bestätigungen entreißen konnte. Vielleicht war es eine flüchtige Liebkosung, vielleicht ein in einer verlorenen Sekunde abgebettelter Kuß, in der krankhaften Überspannung seiner Gefühle überschätzt er das Almosen und zieht Folgerungen daraus, an denen sein Wahn vollends zerschellt. Aus seinen verworrenen Andeutungen ist aber zu schließen, daß Anna bei dieser Gelegenheit etwas mehr aus sich herausgegangen ist als vordem, zumal was ihre Beziehung zu Waremme betrifft. Vieles an dessen Haltung wird ihm erst durch Annas Versicherung erklärlich, daß es seit dem schändlichen Überfall in Köln zu keinerlei körperlicher Annäherung mehr zwischen ihnen gekommen ist, nicht zur geringsten Zärtlichkeit, auch zur leisesten Verständigung nicht, die ihm Hoffnung auf ihre Hingabe erwecken konnte. Das allerdings muß den Eitelsten, Eifersüchtigsten, Sinnlichsten, Besessensten und Entêtiertesten der Menschen außer Rand und Band gebracht haben. Daß sie sich nicht lösen kann, leugnet sie trotzdem nicht, daß sie mit gefesselten Gliedern und willenlosem Geist gegen ihn, immer gegen ihn gewendet ist, gibt sie verzweifelt zu. Sie zeigt ihm die Briefe, die er ihr im Lauf von anderthalb Jahren geschrieben hat, mehr als vierhundert Briefe, jeder zwölf, zwanzig, fünfundzwanzig Seiten lang, Ergüsse, Beschwörungen, Träume, Poesien, die sie erstarren und erbleichen machen, wenn sie bloß von ihnen spricht. Das war also der berühmte achtzehnte Mai. Ein paar Tage darauf berichtet ihm Anna in vollkommener Ratlosigkeit, daß Waremme ihr den Vorschlag einer Heirat gemacht hat. So unglaublich es klingt, der geschiedene Mann, Vater zweier Kinder, die irgendwo in der Fremde herumgestoßen werden, ohne nachweisbare Existenzmittel, der Verhöhner bürgerlicher Legitimität, der Spieler, der politische Abenteurer und Phantast, denn als solcher erweist er sich immer mehr, er will dies schon halb von ihm zerstörte Geschöpf an sein ruhlos-unsicheres, aufgewühltes, bodenloses Dasein schmieden, um sie völlig zu vernichten. Alles bäumt sich in Maurizius, aber er darf sich
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