Der Fall Maurizius
nicht rühren. Eine frommkatholische, alte Dame, vernimmt er, eine Freiin von Löwen, will ihr ein Heiratsgut von beträchtlicher Höhe aussetzen, doch soll sie sich vorher sechs Monate in ein Ursulinerinnenkloster zurückziehen. Immer unverständlicher, immer toller. Nein, er, Maurizius, darf nicht aufmucken, klebrige Nachrede spritzt ohnehin ihr Gift durch alle Gassen, er darf den Arm nicht zu ihrer Rettung ausstrecken, weiß er doch nicht einmal, ob sie von ihm gerettet werden will, nicht einmal, ob sie ihn liebt oder nur erträgt oder gar haßt, sowenig er weiß, ob sie Waremme liebt, fürchtet, verabscheut oder haßt. Man weiß nichts von ihr, man kennt sie nicht, man müßte ihr die Brust aufschlitzen und ihr Herz untersuchen. Diese Art Frauen, so bedünkt ihn heut, wo in der Kälte jahrzehntelanger, unerbittlicher Kritik das fließende Leben zu durchsichtigem Eis geworden ist, diese Frauen haben keinen Wesenskern, sie sind in einer unheilvollen Weise, unheilvoll einsiedlerisch und selbstisch, auf sich und ihr Schicksal beschränkt (er geht umher, gestikulierend): »Gefäß, dem wir erst den Inhalt geben, vielleicht auch die Seele, jedenfalls die Bestimmung und die Bewegung. Möglich, daß sie nur deswegen als unsere Opfer hinsinken, weil sie so narzißhaft in sich beruhen, und was ist denn das Narzißhafte? Etwas Körperloses im Grunde, und dafür, daß wir das Bild umarmen wollen, weil kein Menschenkörper da ist, dafür lassen sie uns büßen und machen uns verantwortlich bis zum Jüngsten Tag. So bringt man sich selber zum Opfer und wird der Narr der Frau Holle im Schnee.«
Es klang wie ein furchtbares letztes Gericht. »Und ähnlich war es ja mit Elli«, fuhr Maurizius fort, indem er die Augen geschlossen hielt, als rede er aus dem Schlaf, »ich entdeckte plötzlich, was Schwesternschaft ist, daß die Natur damit tiefe Geheimnisse aus ihrem Schoß kundgibt. Gerade weil solche Verschiedenheit zwischen beiden herrschte, als ob sie weltweit voneinander gezeugt wären, trat so viel Ähnliches, so viel Gleiches zutage. Gleiches . . . für mich war es nur in dem Sinn ein Gleiches, wie Kohle und Diamant ein Gleiches sind. Man muß bedenken, daß Elli . . . auch auf sie stimmte das mit der ichlosen Selbstischkeit, oder wie man es nennen soll. Ich will mich nicht reinwaschen, an mir ist nichts mehr zu retten, meine Person, die schalte ich aus, aber ich hatte da auf einmal keinen Menschen mehr vor mir. Eine Wölfin, eine blutgierige reißende Wölfin brach aus ihr heraus, als sie sich gegen die Schwester kehrte. Und eine unbarmherzige Wucherin, die auf Rückerstattung ihrer Darlehen mit Zins und Zinseszins besteht, als sie sich gegen mich kehrte. Das Gerüst barst auseinander. Wunderbar, was man Haltung heißt an einem Menschen . . . das Gerüst . . . da war keine Haltung mehr, kein Halten. Aufgelegte Raserei. Eine Frau mit den verfeinertsten Nerven, dem entwickeltsten Geist, gut, vornehm, hochsinnig. Und das . . . Man hat mir zum Vorwurf gemacht . . . eine bestimmte Sache wurde gegen mich ausgenützt . . . nämlich, daß wir noch bis weit in die schauerlichen Konflikte hinein ehelich lebten . . . nun ja . . . ein Mann erniedrigt sich immer so tief, wie eine Frau ihn fallen läßt. Ich wiederhole, das soll keine Rechtfertigung sein . . . mein ganzes Unglück ist auf den einen Punkt konzentriert, man kann mit der Wollust sozusagen ein unsauberes Seelengeschäft machen, vollführt einen schlampigen Austausch gegen den Traum und das Ideal mit ihr. Sooft ich darüber nachdachte, hab ich gefunden, daß bis auf einen unter tausend die Männer nichts anderes tun, so verludert eine ganze Welt. Ich war jedenfalls der eine nicht, ich nicht; und Elli spielte va banque, als sie mir meinen Traum von den Augen wegstahl. Sie wußte nicht, daß die gestohlenen Träume zu einer Pest für den Dieb werden. Aber was sag ich da, das ging schließlich nur an Fleisch und Blut, daß wir uns im Elend unserer Herzen vermischten, aber das Aufwachen dann, die Rache, die Wut: du bist immer noch du, und bei ihr: daß sie betrogen war . . . die Jahre, um die sie mir voraus war, wurden ihre Erinnyen, sie und ich, wir stürzten miteinander umklammert in unsern untersten Keller von Schlechtigkeit und Bosheit. Wenn sie sich zur Spionin machte und die Leute aushorchte und mit mir um das schäbige bißchen Geld feilschte und ihren Jammer zum Fenster hinausschrie, daß es jeden Tag war, als hätte alles in der Zeitung gestanden, und Nächte und Nächte
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