Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
war. Hinfälligkeit zu simulieren. Es sogar soweit treiben, als habe sich die Krankheit zu einer Krisis verschlimmert und die Wendung zum Besseren könne sich erst nach der Befreiung von einer gewissen geistig-seelischen Last vollziehen. Durchtriebene Fädelung. Was an leidenschaftlicher List, an andergastscher Hartnäckigkeit, an sechzehnjährigem Feuer in diesem Kopf und Gemüt aufgespeichert war, wirkte sich nun dämonisch in der Vorbereitung auf die entscheidende Stunde aus. Ich scheue in diesem Fall nicht vor dem vielgebrauchten Wort zurück, das Dämonische ist eine Grundbewegung in jenen Naturen, welche fähig sind, in angeborener Wahrhaftigkeit nach ihren Erkenntnissen zu handeln, mögen sie auch mit einem oberflächlichen Firnis von Intellektualismus behaftet sein oder, wie Etzel es gerne tat, in Verkennung ihrer tieferen Kräfte sich auf Idee und Logik festlegen. Es ist nichts weiter als eine kluge Sicherheitsvorrichtung, um mit dem besagten Dämon, einer unbequemen Erscheinung immerhin, nicht auf gar zu vertrautem Fuß verkehren zu müssen.
    3

    Gegen halb acht kam Melitta nach Hause, eilte gleich zu Etzel und erkundigte sich nach seinem Befinden. Er sagte, es gehe ihm besser, darüber bezeigte sie sich zufrieden, sie könne leider nicht daheim bleiben, fügte sie hinzu, um halb neun Uhr finde eine Versammlung der Angestellten ihrer Firma statt, wo über die Geschichte mit dem Liftunfall beraten werden solle. Um zehn werde sie aber bestimmt wieder da sein und nach ihm schauen. Mit dem Advokaten Silberbaum habe sie gesprochen, die vierzig M bezahlt, die Sache sei in guten Händen. Sie hielt ihm die Bescheinigung des Anwalts hin, er sah den Fetzen Papier nicht einmal an. »Mutter macht Ihnen eine Eieromelette, dazu kriegen Sie Tee«, sagte das Mädchen, »morgen früh sind Se dann die Schweinerei los.« Sie hatte plötzlich was Kameradschaftliches und Aufgeschlossenes, das in wunderlichem Gegensatz zu ihrem früheren bissig-herausfordernden Wesen stand, das ihn aber, da er nach der Ursache nicht lange zu forschen brauchte, als zu billig errungen nicht recht freute. Er stellte dabei Betrachtungen an über dieses »Billige« und fand, daß man die Menschen überschätze, wenn man ihre Naivität bei solchem Anlaß einer Kritik unterzog. Man ist nicht primitiv genug, überlegte er ernsthaft, man sollte primitiver sein, man ist wie ein zu scharf gespitzter Bleistift, der abbricht, kaum daß man zu schreiben anfängt.
    Da ihm Frau Schneevogt emsig zusprach, verzehrte er die Hälfte des Eierkuchens, den Tee ließ er sich neben das Bett stellen. Zweifellos hatte auch die Freundlichkeit der Vermieterin ihre sehr materiellen Antriebe, aber das machte ihm wenig Beschwer, die war schon zu billig (obwohl sich am andern Tag erwies, als er seine Rechnung begleichen wollte, daß man sich mit den Käuflichsten am ehesten verrechnet). Es war dreiviertel neun, als er endlich das Läuten der Flurglocke vernahm. »Es regnet, guter Mohl«, sagte Warschauer beim Eintreten, »ich triefe.« Er nahm den Hut ab, schüttelte ihn, zog den Mantel aus und schüttelte auch den, suchte eine Weile nach einem Haken und legte beide Kleidungsstücke schließlich mit vielem Prusten und Räuspern auf denselben Schemel, auf dem gestern abend Melitta gesessen war. »Na, wie geht's, wie steht's, mein armer Lazarus?« fragte er, ergriff einen Stuhl bei der Lehne, hob ihn über den Tisch und stellte ihn neben das Bett, um sich darauf niederzulassen. »Hallo, was ist das?« stutzte er und lauschte. Es war das mechanische Klavier aus der Tanzschule, das schon wieder sein rasendes Geklapper begonnen hatte. »Doll. Und dabei können Sie schlafen, Mohl? Mein Beileid.« Er trat zum Fenster, schaute hinüber und sah vor den Fenstern drüben verkrümmte Schatten an grellbeleuchteten Vorhängen hin und her gleiten. Er lachte dumpf vor sich hin. »Hübsche Camera obscura«, sagte er, »illustrierter Charleston, man riecht geradezu den Schweiß des Vergnügens, und was man hört, geht ins Ohr wie die Posaunen von Jericho. So was hab ich gern. Da ist man gleich mitten im Sinn des Geschehens.« Etzel seufzte. Warschauer kehrte ans Bett zurück und sah ihn erschrocken an. Auch hiebei gab sich die fast possenhafte Übertriebenheit kund, deren er sich noch immer nicht entledigt hatte. »Möchten Sie nicht ein bißchen leiser reden, Professor«, bat Etzel. – »Gewiß. Selbstverständlich. Die Nerven, selbstverständlich«, nuschelte Warschauer und sah aus, als

Weitere Kostenlose Bücher